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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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dagegen glaubten, sie hätten es mit einer mutierten und vielleicht noch ansteckenderen Form von SHEVA zu tun.
    »Das DarwinVirus«, wiederholte Mitch, grüblerisch wegen des Begriffs.
    »Der Signalmechanismus. SHEVA.«
    »Mmmhmm«, sagte er. »Ich finde deine Erklärung sinnvoller.«
    »Warum ist sie sinnvoller? Bitte sag’ mir, dass ich nicht nur starrköpfig bin und Unrecht habe.«
    »Zähl’ doch eins und eins zusammen«, erwiderte Mitch. »Lass’
    die Tatsachen noch einmal durch die Mühle der Wissenschaft laufen. Wir wissen, dass die Artbildung sich manchmal in sehr kleinen Schritten vollzieht. Von den Mumien in den Alpen wissen wir, dass SHEVA bei Menschen aktiv war, die eine neue Art von Babys zur Welt brachten. Artbildung ist selbst in historischen Zeitmaßstäben selten – und SHEVA war der medizinischen Wissenschaft bis vor kurzem überhaupt nicht bekannt. Wenn es zwischen SHEVA und der Artbildung in kleinen Schritten keinen Zusammenhang gibt, sind das viel zu viele Zufälle.«
    Sie drehte sich auf die Seite, sah ihm ins Gesicht und strich mit den Fingern so über seine Wangen und um die Augen, dass er zusammenfuhr.
    »Tut mir Leid«, sagte sie. »Es ist so toll, dass du da bist. Du baust mich auf. Heute Nachmittag – ich habe mich noch nie so einsam gefühlt … nicht seit Saul weg ist.«
    »Ich glaube, Saul hat nie gewusst, was er an dir hatte«, sagte Mitch.
    Kaye ließ den Satz einen Augenblick zwischen ihnen stehen – sie wollte wissen, ob sie ihn überhaupt verstand. »Nein«, sagte sie schließlich, »das konnte er gar nicht wissen.«
    »Ich weiß, wer und was du bist«, erwiderte Mitch.
    »Wirklich?«
    »Eigentlich noch nicht«, räumte er lächelnd ein, »aber ich wüsste es gerne.«
    »Wir brauchen uns nur zuhören«, sagte Kaye. »Was hast du heute gemacht?«
    »Ich war im YMCA und habe meinen Spind ausgeräumt. Dann bin ich wieder mit dem Taxi hierher gefahren und habe herumgelungert wie ein Gigolo.«
    »Ich meine es ernst«, sagte Kaye und drückte seine Hand fester.
    »Ich habe ein paar Telefongespräche geführt. Morgen fahre ich mit dem Zug nach New York. Dort treffe ich mich mit Merton und dem geheimnisvollen Fremden aus Österreich. Wir fahren zusammen zu einem Haus, das Merton als ›großartige, höchst verführerische Villa im Staat New York‹ bezeichnet. Anschließend geht es mit dem Zug nach Albany zu meinem Vorstellungsgespräch bei der State University.«
    »Wozu eine Villa?«
    »Keine Ahnung.«
    »Und kommst du zurück?«
    »Wenn du mich hier haben willst.«
    »Und ob ich das will. Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte Kaye. »Wir werden schon zum Nachdenken wenig Zeit haben, und für Sorgen noch viel weniger.«
    »Die Liebe ist in Zeiten der Cholera am schönsten«, sagte Mitch.
    »Morgen wird alles noch viel schlimmer«, grübelte Kaye. »Jackson wird großen Stunk machen.«
    »Lass’ ihn doch«, erwiderte Mitch. »Ich glaube, auf lange Sicht wird es niemand aufhalten können. Bremsen vielleicht, aber aufhalten – nein.«
55
    Washington, D. C.
    Dicken stand auf den Stufen des Kapitols. Es war ein warmer Abend. Dennoch fröstelte er ein wenig, denn er hörte ein Geräusch wie von einem Meer, akzentuiert durch Wellen widerhallender Stimmen. Nie hatte er sich so allein, so isoliert gefühlt wie jetzt, als er zu den etwa fünfzigtausend Menschen hinüberblickte, einer Menge, die sich vom Kapitol bis zum Washington Monument und darüber hinaus erstreckte. Die bewegliche Masse drängte gegen die Barrieren am Fuß der Treppe, strömte um die Zelte mit den Rednertribünen, hörte aufmerksam einem Dutzend verschiedener Ansprachen zu und kreiste langsam wie aufgerührte Suppe in einer riesigen Terrine. Er schnappte ein paar vom Wind zerhackte Brocken der Reden auf – unvollständig, aber aufschlussreich, grobe Sprachfetzen zum Aufheizen der Menge.
    Sein ganzes Leben lang hatte Dicken den Krankheiten nachgespürt, die diese Menschen befielen, und sich dabei stets so verhalten, als sei er selbst unverwundbar. Tatsächlich hatte er es mit Fachkunde und ein wenig Glück immer vermieden, sich eine dieser Krankheiten zuzuziehen, außer einmal ein DengueFieber –
    schlimm, aber nicht tödlich. Er hatte sich immer für etwas Besonderes gehalten, für jemanden, der vielleicht ein wenig überlegen war, aber dennoch unendliches Einfühlungsvermögen besaß.
    Die Selbsttäuschung eines gebildeten, geistig isolierten Trottels.
    Jetzt begriff er es. Die Masse bestimmte, wo

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