Das Darwin-Virus
drangen in Hepatocyten – Leberzellen in einer LaborKulturschale – ein, schalteten bestimmte Zellfunktionen ab, nutzten andere für ihre Zwecke, schrieben ihre RNA in DNA um und bauten sie in die ZellDNA ein; dann fingen sie an, sich zu vermehren. In leuchtend simulierten Farben bildeten sich im Cytosol, dem strömenden Zellinhalt, neue, nackte Viruspartikel. Die Viren wanderten zur Membranhülle der Zelle, durchstießen sie und gelangten nach außen, jedes einzelne säuberlich eingehüllt in ein Hautstück der Zelle.
»Sie dezimieren die Membran, aber alles läuft ziemlich sanft und kontrolliert ab. Das Virus belastet die Zelle, aber es bringt sie nicht um. Und es sieht so aus, als sei eines von zwanzig Viruspartikeln lebensfähig – fünfmal besser als HIV.«
Plötzlich fuhr die Simulation in Nahaufnahme an Moleküle heran, die zusammen mit den Viren entstanden waren. Sie waren in Vesikel verpackt, die kleinen Transportbläschen der Zelle, und wurden mit den neuen, infektiösen Virusteilchen nach außen geschleust. Beschriftet waren sie in leuchtendem Orange: PGA?
PGE?
»Halt’ da mal an, Fiona.« Kushner streckte den Finger aus und tippte auf die orangefarbenen Buchstaben. »SHEVA bringt nicht alles mit, was es braucht, um die Herodes-Grippe auszulösen. Wir finden in den infizierten Zellen immer wieder einen großen Klumpen mit Proteinen, die nicht von dem Virus codiert werden – etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen. Dann zerfällt der Klumpen, und in der Zelle sind lauter kleine Proteine, die da nicht hingehören.«
»Wir haben nach Proteinen gesucht, die unsere Zellkulturen verändern«, sagte Bierce. »Wir haben wirklich viele ausprobiert.
Darüber haben wir zwei Wochen lang gerätselt, und dann haben wir ein paar infizierte Zellen zum Vergleich an eine kommerzielle Gewebesammlung geschickt. Dort haben sie die neuen Proteine abgetrennt, und dabei fanden sie …«
»Das ist meine Geschichte, Fiona«, sagte Kushner und hob warnend den Zeigefinger.
»Entschuldigung«, antwortete Fiona mit verlegenem Lächeln.
»Es ist einfach toll, dass wir es so schnell geschafft haben.«
»Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass SHEVA ein Gen auf einem anderen Chromosom anschaltet. Aber wie? Wir haben weiter gesucht … und ein SHEVAaktiviertes Gen auf dem Chromosom 21 gefunden. Es codiert unser Polyprotein, das wir als LPC oder large protein complex – großen Proteinkomplex – bezeichnen. Die Expression dieses Gens wird ganz spezifisch von einem besonderen Transkriptionsfaktor gesteuert. Wir haben nach dem Faktor gesucht und ihn im Genom von SHEVA entdeckt.
Eine verschlossene Schatztruhe im Chromosom 21, und der Schlüssel liegt im Virus. Sie sind Partner.«
»Erstaunlich«, sagte Kaye.
Bierce ließ die Simulation erneut ablaufen und konzentrierte sich diesmal auf die Vorgänge am Chromosom 21 – auf die Bildung des Polyproteins.
»Aber Kaye – liebste Kaye, das ist bei weitem nicht alles. Wir stehen vor einem Rätsel. Die SHEVAProtease spaltet den LPC zu drei neuen Cyclooxygenasen und Lipooxygenasen, und die synthetisieren drei verschiedene, einzigartige Prostaglandine. Zwei davon kannten wir vorher nicht, wirklich erstaunlich. Und alle scheinen sehr wirksam zu sein.« Mit einem Kugelschreiber zeigte sie auf die Prostaglandine, die aus der Zelle ausgeschleust wurden. »Das wäre eine Erklärung für die Berichte über Fehlgeburten.«
Kaye runzelte konzentriert die Stirn.
»Nach unseren Berechnungen könnten die Prostaglandine bei einer voll ausgeprägten SHEVAInfektion in so großer Menge gebildet werden, dass jeder Fetus innerhalb einer Woche abgestoßen wird.«
»Und als ob das noch nicht seltsam genug wäre«, fügte Bierce hinzu, wobei sie auf Reihen von Glycoproteinen zeigte, »produzieren die Zellen das hier als Nebenprodukt. Wir haben sie noch nicht vollständig analysiert, aber sie sehen stark wie FSH und LH aus, das follikelstimulierende und das luteinisierende Hormon.
Und diese Peptide scheinen ReleasingHormone zu sein.«
»Die altvertrauten Herren über das Schicksal der Frauen«, sagte Kushner. »Reifung und Freisetzung der Eizellen.«
»Aber warum?«, fragte Kaye. »Wenn sie gerade eine Fehlgeburt verursacht haben – warum erzwingen sie dann einen Eisprung?«
»Wir wissen noch nicht, was zuerst aktiviert wird. Es könnte auch erst der Eisprung und dann die Fehlgeburt sein«, sagte Kushner. »Denk dran, das hier ist eine Leberzelle. Mit der Untersuchung der Infektion von
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