Das Darwin-Virus
sagte Voight, und seine Mundwinkel zuckten.
»Entschuldigung«, antwortete Dicken.
Voight lächelte nachsichtig. »Dann kommt ihr ›alter Herr‹ herein und erzählt uns die ganze Geschichte. Es stellt sich heraus, dass er sehr besorgt um sie ist – er will uns die Wahrheit mitteilen, damit wir sie behandeln können. Sie hat zugelassen, dass er zu ihr ins Bett kam und sich einen rubbelte – Mitgefühl, wissen Sie. Auf diese Weise wurde sie zum ersten Mal schwanger.«
Dicken nickte. Nichts Erschreckendes bisher – nur die vielen Gesichter des Lebens und der Liebe.
Voight fuhr fort. »Es wird eine Fehlgeburt. Aber drei Monate später steht sie wieder hier – wieder schwanger. Im zweiten Monat. Ihr ältlicher Freund ist wieder dabei, sagt, dass er sich keinen gerubbelt hat und gar nichts, und er weiß auch, dass sie mit keinem anderen Mann zusammen war. Glauben wir ihm?«
Dicken legte den Kopf schräg und hob die Augenbrauen.
»Es geschehen alle möglichen seltsamen Dinge«, sagte Voight sanft, »und zwar mehr als sonst, wie ich meine.«
»Haben sie über Krankheitserscheinungen geklagt?«
»Das Übliche. Erkältung, Fieber, Gliederschmerzen. Ich glaube, wir haben im Labor noch ein paar Proben, wollen Sie sie sehen?
Sind Sie schon drüben im Northside gewesen?«
»Noch nicht.«
»Warum nicht das Midtown? Da gibt es viel mehr Gewebe für Sie.«
Dicken schüttelte den Kopf. »Wie viele junge Frauen mit unerklärlichen Fiebererkrankungen oder nichtbakteriellen Infektionen?«
»Dutzende. Auch das ist nichts Ungewöhnliches. Wir heben die Tests höchstens eine Woche lang auf; wenn keine Bakterien drin sind, werfen wir sie weg.«
»Na gut. Sehen wir uns das Gewebe an.«
Dicken nahm den Kaffee mit und ging hinter Voight zum Aufzug. Das Biopsie- und Analyselabor war im Keller, nur zwei Türen neben der Leichenkammer.
»Die technischen Assistentinnen gehen um neun nach Hause.«
Voight knipste das Licht an und durchsuchte schnell einen kleinen stählernen Karteischrank.
Dicken sah sich im Labor um: drei lange weiße Tische mit Spülbecken, zwei Abzüge, Brutschränke und Regale mit säuberlich aufgereihten, braunen und weißen Glasflaschen voller Reagenzien, ordentliche Stapel mit den üblichen TestKits in flachen, orangefarbenen und grünen Pappschachteln, zwei Edelstahlkühlschränke und eine ältere weiße Gefriertruhe; ein Computer mit angeschlossenem Tintenstrahldrucker und einem angehefteten Zettel AUSSER BETRIEB; und eingezwängt in einem Nebenraum hinter einer zweiflügeligen Tür mehrere ausziehbare, stählerne Lagerregale in dem üblichen Grau und Hellbraun.
»Die hier haben sie noch nicht in den Computer eingegeben; dauert bei uns etwa drei Wochen. Sieht aus, als wäre noch eines übrig … Es ist hier im Krankenhaus Routine – wir überlassen es den Müttern. Sie können das Gewebe von einem Bestattungsunternehmen abholen lassen und eine Trauerfeier veranstalten. Ist ein besserer Abschluss. Aber wir hatten auch eine Mittellose, kein Geld, keine Angehörigen … hier.« Er zog eine Karte heraus, ging in den Nebenraum, drehte an einem Rad, fand die Regalnummer auf der Karte.
Dicken wartete an der zweiflügeligen Tür. Voight kam mit einem kleinen Gefäß zurück und hielt es im helleren Licht des Labors in die Höhe. »Falsche Nummer, aber es ist der gleiche Typ.
Dieser hier ist von vor sechs Monaten. Der, den ich gesucht habe, liegt vermutlich noch in kalter Salzlösung.« Er gab Dicken den Kolben und ging zum ersten Kühlschrank.
Dicken starrte den Fetus an: zwölf Wochen alt, ungefähr so groß wie sein Daumen, eingerollt, ein winziger, blasser Außerirdischer, der mit seinem Versuch, auf der Erde zu leben, gescheitert war.
Sofort fielen ihm Anomalien auf. Die Gliedmaßen waren nur Knötchen, und an dem aufgedunsenen Bauch befanden sich Auswüchse, wie er sie auch bei schwer missgebildeten Feten noch nie gesehen hatte.
Das winzige Gesicht wirkte ungewöhnlich eingedrückt und leer.
»Irgendetwas stimmt mit dem Knochenbau nicht«, sagte Dicken, während Voight den Kühlschrank schloss. Der Assistenzarzt hob einen anderen Fetus in einem feucht beschlagenen, mit Plastikfolie abgedeckten Kolben in die Höhe; er war mit Gummiband verschlossen und trug ein beschriftetes Klebeband.
»Eine Menge Probleme, ohne Zweifel«, sagte Voight, tauschte die Gefäße aus und besah sich das ältere Exemplar. »Gott hat in jeder Schwangerschaft kleine Kontrollpunkte eingebaut. Die beiden hier haben ihre
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