Das Dekameron
Hierauf erzählte die Gräfin zur großen Verwunderung des Grafen und aller übrigen Anwesenden der Reihe nach alles, was und wie es geschehen war. Als der Graf sich hierdurch überzeugte, daß sie die Wahrheit sprach, und als er ihre Ausdauer und ihren Verstand betrachtete, und dann auch wieder die zwei schönen Kinder sah, legte er seinen hartnäckigen Stolz ab, nicht nur um seinem Worte treu zu bleiben, sondern auch den Seinigen, Rittern wie Damen zu Gefallen, die ihn alle baten, er möge sie nun als seine rechtschaffene Gattin aufnehmen und ehren. So hieß er denn die Gräfin aufstehen, küßte und umarmte sie, erkannte sie als seine rechtmäßige Gemahlin und die Kinder als die seinigen an. Dann ließ er sie mit Gewändern bekleiden, die ihrem Stande zukamen, und feierte zur großen Freude seiner Untertanen, der anwesenden wie der abwesenden, die es später erfuhren, mehrere Tage lang ein großes Fest. Von diesem Tage an liebte er sie mit aller seiner Gattin und Ehefrau gebührenden Achtung auf das herzlichste.
Zehnte Geschichte
Alibech wird Einsiedlerin, und der Mönch Rusticus lehrt sie den Teufel in die Hölle heimschicken. Dann kehrt sie zurück und wird die Frau des Neerbal.
Dioneo, der die Erzählung der Königin mit großer Aufmerksamkeit angehört hatte, merkte, als sie vollendet war, daß ihm allein noch zu reden obliege. Daher begann er, ohne einen Befehl abzuwarten, lächelnd also zu sprechen:
Holde Damen, ihr habt vielleicht noch niemals gehört, wie man den Teufel in die Hölle heimschickt, und so will ich es euch erzählen, ohne mich dabei weit von dem Gegenstand zu entfernen, von dem ihr heute den ganzen Tag über gesprochen habt. Wenn ihr es gelernt habt, könnt ihr vielleicht noch einmal dadurch eure Seele retten. Auch werdet ihr aus dieser Geschichte erfahren, daß die Liebe, wenngleich sie lieber heitere Paläste und üppige Gemächer bewohnt, es dennoch nicht verschmäht, zuweilen ihre Kräfte auch in den dichten Wäldern, den rauhen Gebirgen und den Höhlen der Wüste fühlbar zu machen. So läßt sich denn ersehen, daß jegliches Ding ihr unterworfen ist.
Um nun zur Sache zu kommen, sage ich, daß in der Stadt Capsa in der Berberei vor Zeiten ein gar reicher Mann lebte, der unter mehreren ändern Kindern eine schöne und wohlgestaltete Tochter hatte, die Alibech hieß. Weil sie keine Christin war und von vielen Christen, die in der Stadt lebten, den christlichen Glauben und Gottesdienst sehr loben hörte, fragte sie eines Tages einen von ihnen, wie man denn eigentlich Gott dienen könne und am leichtesten dazu gelange. Dieser antwortete ihr, man diene Gott am besten, je mehr man die irdischen Freuden fliehe, wie es besonders diejenigen täten, die in die Einöden der thebaischen Wüste gegangen wären.
Das Mädchen mochte etwa vierzehn Jahre alt sein und war gar einfältig. Daher machte sie sich, nicht aus vernünftigem Antrieb, sondern aus einer gewissen kindlichen Lust, ohne irgendjemand etwas davon wissen zu lassen, am ändern Morgen heimlich und ganz allein nach der thebaischen Wüste auf den Weg und gelangte, weil ihre Lust anhielt, mit großer Anstrengung nach einigen Tagen bis in jene Einöden. Hier ging sie auf die erste Hütte zu, die sie in der Ferne sah, und fand einen heiligen Mann an der Tür stehen, der ganz verwundert war, sie zu erblicken, und fragte, was sie suchen gehe. Sie antwortete ihm, sie suche, einer Eingebung von Gott folgend, wie sie ihm dienen und jemand finden könne, der sie darin unterrichte. Als der wackere Mann ihre Jugend und Schönheit betrachtete, fürchtete er, es möge der Teufel ihn wohl betrügen, wenn er sie bei sich behielte. Darum lobte er ihren guten Vorsatz, gab ihr einige Kräuterwurzeln, wilde Äpfel und Datteln zu essen und Wasser zu trinken und sagte dann: »Meine Tochter, nicht weit von hier wohnt ein heiliger Mann, der ein weit besserer Lehrmeister dessen ist, was du begehrst, als ich es bin. Geh du zu dem!« Und damit brachte er sie auf den Weg.
Als sie nun zum zweiten kam und von ihm dieselbe Antwort erhielt, ging sie noch weiter und kam zur Zelle eines jungen Einsiedlers, eines recht frommen und guten Menschen, der Rusticus hieß. An ihn richtete sie dieselbe Frage, die sie schon an die ändern getan hatte. Rusticus dachte, eine große Probe seiner Standhaftigkeit anzustellen, und schickte sie deshalb nicht wie die ändern weg, sondern behielt sie bei sich in seiner Zelle, machte ihr, als es Nacht ward, ein Bettchen
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