Das Dekameron
genesen könnte. In jedem Falle aber, erklärte er, könne er ihn nur als einen vollkommen Aufgegebenen in die Kur nehmen. Auch damit waren die Verwandten zufrieden und übergaben ihm den Kranken unter der erwähnten Bedingung. Der Arzt überzeugte sich indes, daß dieser Patient ohne einen Schlaftrunk die Schmerzen nicht ertrüge und die Operation nicht geschehen ließe. Zu dem Ende ließ er am Morgen - da er gegen Abend das Geschäft vorzunehmen gedachte - über gewissen Ingredienzien ein Wasser abziehen, das die Kraft besaß, den Leidenden, wenn er es getrunken hatte, so lange schlafend zu erhalten, wie der Wundarzt über dem Schnitte zuzubringen glaubte. Als das Wasser bereitet war, ließ er es sich ins Haus bringen und stellte es ins Zimmer, ohne jemand zu sagen, was es wäre und wozu es diente.
Wie es aber Abend wurde und unser Wundarzt eben zu seinem Patienten gehen wollte, erhielt er einen Boten aus Amalfi von einigen seiner liebsten Freunde, daß er sich ja durch nichts auf der Welt abhalten lassen möge, sogleich hinüberzukommen, da bei einer eben vorgefallenen Schlägerei viele verwundet worden seien. In der Tat verschob der Wundarzt die Operation auf den nächsten Morgen und fuhr sogleich mit einem Boote nach Amalfi.
Da nun die Frau wußte, daß ihr Mann diese Nacht nicht mehr nach Hause käme, ließ sie nach alter Gewohnheit heimlich den Ruggieri rufen und schloß ihn so lange in ihre Stube ein, bis gewisse Leute, die zum Hauswesen gehörten, zu Bett gegangen wären. Während Ruggieri die Frau noch in ihrem Zimmer erwartete, überfiel ihn entweder infolge der Anstrengungen des Tages oder weil er Gesalzenes gegessen hatte, oder vielleicht auch weil er das Trinken gewohnt war, ein unmäßiger Durst. Da ihm nun auf dem Fensterbrett die Flasche mit dem Wasser in die Augen fiel, die der Arzt für den Kranken bereitet hatte, setzte er sie in der Meinung, es sei Trinkwasser, an den Mund und trank sie völlig leer. Natürlich dauerte es gar nicht lange, so überfiel ihn eine unendliche Müdigkeit, und er schlief ein.
Die Frau des Arztes kam, sobald es ihr möglich war, in dasselbe Zimmer und rührte den Ruggieri, als sie ihn schlafend fand, zuerst nur leise an und sagte ihm halblaut, daß er aufstehen möge. Da dies aber gar nichts fruchtete und er weder antwortete noch sich bewegte, rüttelte die Dame ihn ziemlich unwillig mit aller Kraft und sagte: »Nun, du Siebenschläfer, wach auf! Wenn du schlafen wolltest, hättest du nach Hause gehen und nicht zu mir kommen sollen.« Durch das Rütteln fiel Ruggieri von dem Kasten, auf dem er gesessen hatte, zu Boden und gab dabei nicht mehr Lebenszeichen von sich, als es ein Toter getan hätte. Darüber erschrak die Dame ein wenig und schüttelte ihn, als sie ihn wieder aufgerichtet hatte, noch heftiger als zuvor, kniff ihn in die Nase und zupfte ihn am Bart; aber alles war umsonst, denn er hatte den Gaul an einen guten Pflock gebunden. Die Dame fing nachgerade zu fürchten an, er möge tot sein. Doch ließ sie sich dadurch nicht abhalten, ihn nach Kräften zu zwicken und mit einem Lichte zu brennen. Als er sich aber immer noch nicht regte, glaubte die gute Frau, die trotz der ärztlichen Kenntnisse ihres Gatten keine Heilkundige war, nicht mehr zweifeln zu dürfen, daß Ruggieri tot sei. Wie sehr sie sich darüber betrübte, brauche ich nicht erst zu sagen, da sie ihn über alles liebhatte. So begann sie denn, da sie kein Geräusch zu machen sich getraute, ihn in aller Stille zu beweinen und sich über ein so herbes Schicksal zu beklagen.
Nach einiger Zeit aber bedachte sie, daß sie ihrem Unglück nicht noch Schande hinzufügen dürfe, und fühlte wohl, daß sie zu diesem Ende ohne Aufschub ein Mittel finden müsse, um den Toten aus dem Hause zu schaffen. Da sie selbst aber keinerlei Rat wußte, rief sie insgeheim ihre Magd, zeigte ihr das Mißgeschick, das sie betroffen, und sprach sie um ihren Beistand an. Die Magd erschrak nicht weniger und sagte, nachdem sie ihn genau so vergeblich wie ihre Gebieterin gezupft und gezwickt hatte, daß er ohne allen Zweifel tot sei. Auch hielt sie, wie jene, dafür, man müsse ihn aus dem Hause bringen. Die Dame entgegnete: »Wo sollen wir ihn aber hinschaffen, damit nicht bei denen, die ihn morgen früh finden werden, der Verdacht entsteht, er sei aus unserem Hause herausgetragen worden?« Das Mädchen erwiderte: »Madonna, ich sah erst heute abend spät gegenüber der Werkstätte unseres Nachbarn, des Tischlers, einen Kasten
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