Das Dekameron
Trost zu und forderten sie auf, sich ein wenig zu erheben; sie aber richtete sich nicht auf. Da wollten jene sie mit Gewalt emporheben, und erst als sie sie unbeweglich fanden, erkannten sie zugleich, daß sie Salvestra und tot war.
Von doppeltem Mitleid über diesen neuen Unfall ergriffen, erhoben alle anwesenden Frauen nun ein noch viel größeres Wehklagen als zuvor. Dadurch verbreitete sich die Nachricht bis vor die Kirche, wo die Männer standen, und als sie zu den Ohren von Salvestras Gatten gelangte, der sich unter jenen befand, weinte er lange, ohne von jemand Trost oder Zuspruch annehmen zu wollen. Dann aber erzählte et vielen Anwesenden den Vorfall, der sich in der vergangenen Nacht zwischen dem jungen Manne und seiner Frau zugetragen hatte, wodurch allen die Todesursache des ersteren offenbar und ihr Leidwesen noch um vieles vermehrt ward. Der Körper der jungen Frau wurde geschmückt, wie man die Toten zu schmücken pflegt, alsdann auf dasselbe Bett neben den Jüngling gelegt und endlich beide, nachdem sie lange in jener Kirche beweint worden waren, im selben Grabe beigesetzt. Die also die Liebe im Leben nicht hatte vereinigen können, verband nun der Tod mit unzertrennlichen Banden.
Neunte Geschichte
Herr Guillem von Roussillon gibt seiner Frau das Herz des Herrn Guillem von Cabestaing zu essen, den sie geliebt und den er getötet bat. Als sie es erfährt, stürzt sie sich aus einem hohen Fenster herab und wird mit ihrem Geliebten begraben.
Als die Geschichte der Neifile, nicht ohne lebhaftes Mitleid in den Freundinnen der Erzählerin geweckt zu haben, beendet war, hub der König, weil er des Dioneo Vorrecht nicht zu schmälern gedachte und sonst kein anderer mehr zu erzählen hatte, also zu reden an:
Ihr mitleidigen Damen, ich erinnere mich einer Geschichte, die euch, wenn ihr für die Unfälle der Liebenden so viel Teilnahme empfindet, nicht weniger rühren muß als die vorige; denn diejenigen, welchen geschah, was ich euch berichten werde, standen höher und erfuhren noch Schrecklicheres, als dies in Neifiles Geschichte der Fall war.
So wißt denn, daß nach den Berichten der Provenzalen vor Zeiten in der Provence zwei edle Ritter lebten, deren jeder über Schlösser und Lehnsmannen zu gebieten hatte und von denen der eine Herr Guillem Roussillon, der andere aber Herr Guillem Cabestaing hieß. Weil nun der eine wie der andere mit besonderer Tapferkeit die Waffen führte, waren sie einander sehr gewogen und pflegten zu jedem Turnier, Lanzenrennen oder sonstigen Waffenspiele miteinander und in gleicher Rüstung zu reiten. Obgleich jeder von den beiden ein eigenes Schloß bewohnte und diese wohl drei Stunden auseinander lagen, geschah es dennoch, daß Herr Guillem Cabestaing ohne Rücksicht auf seine Freundschaft und Waffenbrüderschaft mit Herrn Guillem Roussillon sich in dessen schöne und liebenswürdige Gattin über die Maßen verliebte. Auch wußte er diese Liebe in seinem Betragen auf mancherlei Weise der Dame kundzutun, so daß sie seine Gefühle erriet. Und da sie wußte, welch ein wackerer Ritter er war, fand sie an ihm Gefallen, ja sie faßte endlich eine solche Liebe zu ihm, daß sie ihn über alles begehrte und liebte und nur darauf wartete, daß er sie um ihre Gunst anspräche. Dies geschah bald genug, und so hatten sie in großer gegenseitiger Liebe öftere Zusammenkünfte. Weil sie aber nicht mit genügender Vorsicht handelten, wurde der Mann ihr Einverständnis gewahr, und er geriet darüber in einen solchen Zorn, daß seine frühere Liebe zu Cabestaing sich in tödlichen Haß verkehrte. Er wußte denselben besser zu verstecken, als das liebende Paar seine Neigung, und beschloß, jenen umzubringen.
Während sich nun Roussillon noch mit diesem Vorsatz trug, wurde in Frankreich ein großes Turnier angesagt. Roussillon gab dem Cabestaing sogleich Nachricht davon und ließ ihm sagen, wenn es ihm genehm sei, möge er zu ihm kommen, damit sie sich gemeinschaftlich entschließen könnten, ob und wie sie jenes Turnier besuchen wollten. Cabestaing erwiderte voller Freude, er werde auf jeden Fall am folgenden Tage zum Abendessen kommen. Roussillon aber dachte bei dieser Antwort, nun sei die Zeit gekommen, wo er ihn umbringen könne. Er bewaffnete sich daher am ändern Tag und ritt mit einigen seiner Diener eine Viertelstunde weit von der Burg weg, wo er sich an einer Stelle, an der Cabestaing vorüberkommen mußte, im Gebüsch verbarg. Schon hatte er eine lange Weile
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