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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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wer ihn nicht kannte, ihn nicht allein für einen großen Redekünstler gehalten, sondern ihn dem Cicero selbst oder dem Quinctilian an die Seite gesetzt hätte. Auch war er von allen in der Umgegend Gevatter oder Freund oder guter Bekannter. Eines Tages nun, als er im Augustmonat seiner Gewohnheit zufolge nach Certaldo gekommen war und als alle guten Männer und Weiber der umliegenden Dörfer sich zur Messe in der Pfarrkirche versammelt hatten, trat er, als es ihm an der Zeit schien, hervor und sagte:
    »Ihr Herren und ihr Frauen! Wie ihr wißt, ist es euer Brauch, alljährlich den armen Dienern des hochadeligen heiligen Herrn Antonius von eurem Korn und eurem Weizen zu spenden, der eine wenig, der andere viel, je nach dem Vermögen und der Frömmigkeit eines jeden, damit dieser gebenedeite Heilige eure Ochsen und eure Esel, eure Schweine und eure Schafe in seinen Schutz nehme. Außerdem pflegt ihr, insbesondere aber pflegen diejenigen unter euch, welche bei unserer Bruderschaft eingeschrieben sind, den kleinen Beitrag zu entrichten, den man einmal im Jahr zu bezahlen hat. Um nun das eine und das andere einzufordern, bin ich von meinem Oberen, nämlich dem Herrn Abt, hierher gesandt. So mögt ihr denn zu diesem Zweck unter dem Segen Gottes heute nachmittag nach drei Uhr, wenn ihr das Glöcklein läuten hört, euch außerhalb der Kirche versammeln, woselbst ich die gewohnte Predigt halten und euch das Kreuz zum Kusse reichen werde. Außerdem aber will ich, da mir bekannt ist, welch inbrünstige Verehrer des hochadeligen heiligen Herrn Antonius ihr seid, euch zu besonderer Gunst eine schöne und hochheilige Reliquie zeigen, die ich vor Zeiten selbst aus dem Heiligen Lande von jenseits des Meeres hergebracht habe. Dieses ist nämlich eine der Federn des Erzengels Gabriel, welche er in der Stube der Jungfrau Maria verloren hat, als er nach Nazareth zu ihr kam, um ihr zu verkündigen.« Mit diesen Worten schwieg er und las seine Messe weiter.
    Unter den vielen ändern aber, die sich in der Kirche befanden, während Bruder Cipolla diese Sachen vorbrachte, waren auch ein Paar junge Leute, von denen der eine Giovanni del Bragoniera, der andere aber Biagio Pizzini genannt ward, beides durchtriebene Käuze. Als diese über die Reliquie des Bruders Cipolla eine Weile miteinander gelacht hatten, nahmen sie sich vor, dem Mönche, obwohl sie gut mit ihm befreundet waren und viel mit ihm verkehrten, in bezug auf diese Feder einen Streich zu spielen. Sie hatten erfahren, daß Bruder Cipolla an jenem Morgen auf der Burg bei einem seiner Freunde speiste. Sobald sie ihn also dort zu Tisch wußten, gingen sie hinunter nach der Landstraße, wo das Wirtshaus lag, in dem jener abgestiegen war. Hier sollte nach ihrer Abrede Biagio sich mit dem Diener des Bruders Cipolla in ein Gespräch einlassen, während Giovanni unter den Sachen des Mönchs nach der Feder suchen und sie, was immer für ein Ding es auch sein möchte, mitnehmen wollte, damit sie sähen, wie er sich nachher vor dem Volke herausredete.
    Bruder Cipolla hatte einen Diener, den einige Guccio Trampeltier, andere Guccio Schmutzfink, noch andere aber Guccio Schweinigel nannten. Dieser war ein so jämmerlicher Wicht, daß es gelogen ist, wenn man sagt, Lippo Topo habe jemals ebenso einfältige Streiche gemacht. Bruder Cipolla pflegte oft im Bekanntenkreise Witze über ihn zu reißen und dann zu sagen: »Mein Diener hat neun Eigenschaften, die so beschaffen sind, daß eine von ihnen, gleichgültig welche, wenn sie sich an Salomo, Aristoteles oder Seneca fände, hinreichte, um deren Tugend, Weisheit und heiligen Wandel völlig wertlos zu machen. Denkt euch also, welch ein Mensch der sein muß, in dem sich, obwohl er weder Tugend noch Weisheit noch heiligen Wandel besitzt, jene Eigenschaften alle neun beieinander finden.«
    Da man ihn nun nicht selten fragte, was für neun Eigenschaften das denn seien, so hatte er einen Vers daraus gemacht, der also lautet:
     
    Ein Lügenmaul Ist er und faul,
    Verstockt in Trutz
    Und reich an Schmutz.
    Stets voll Verdacht
    Und unbedacht;
    Ein Feind der Pflicht,
    Ein grober Wicht,
    Und was er soll,
    Das tut er nicht.
     
    »Außerdem«, pflegte Bruder Cipolla zu sagen, »hat er noch einige andere Fehlerchen, doch die wollen wir mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. Was indes an seinen seltsamen Manieren das Spaßhafteste ist: in jedem Dorf, wohin er gerät, will er ein Weib nehmen und ein Haus mieten, und so lang und schwarz und schmutzig

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