Das Dekameron
ihn an und sagte: »Was fehlt dir, Anichino? Ist dir's so leid, daß ich gewinne?« »Madonna«, antwortete Anichino, »es war etwas viel Ernsteres, um das ich seufzte.« »Nun«, erwiderte sie, »so sage mir's, wenn du mich liebhast.« Als Anichino vernahm, wie sie, die er über alles liebte, ihn bei seiner Liebe zu ihr beschwor, seufzte er wohl noch lauter als zuvor. Die Dame bat ihn erneut, ihr zu sagen, was der Grund seiner Seufzer sei. Anichino antwortete aber: »Madonna, ich fürchte sehr, wenn ich es sage, möchte es Euch mißfallen, und dann sorge ich, daß Ihr es wiedererzählen würdet.« Die Dame erwiderte: »Ich werde es gewiß nicht übel aufnehmen, und niemand wird von dem, was auch immer du mir sagst, mehr erfahren, als du selbst wünschest.«
»Wohlan denn«, sagte Anichino, »weil Ihr mir das versprecht, so will ich's Euch gestehen.« Und nun erzählte er ihr, schier mit Tränen in den Augen, wer er war, was er von ihr gehört, wie er sich in sie verliebt hatte und warum er ihres Gatten Diener geworden war. Dann aber bat er sie demütig, es möge ihr gefallen, Mitleid mit ihm zu haben und sein geheimes und glühendes Verlangen zu erfüllen, wenn sie es irgend vermöchte. Wollte sie aber nicht, so möge sie ihm dennoch erlauben, so wie bisher zu bleiben, und gestatten, daß er sie liebe.
O wunderbare Huld des bolognesischen Blutes! Wie warst du immerdar in solcher Drangsal zu preisen! Nie begehrtest du nach Seufzern und Tränen. Zu allen Zeiten warst du für Bitten empfänglich und ergabst dich willig den Wünschen der Liebe. Genügte mein Lob, um dich würdig zu preisen, nie sollte meine Zunge dessen müde werden.
Während Anichino sprach, blickte die schöne Frau ihn an und schenkte seinen Worten volles Vertrauen; und seine Bitten entfachten in ihrem Herzen die Liebe zu ihm mit so plötzlicher Gewalt, daß nun sie zu seufzen begann und nach einigen Seufzern antwortete: »Mein süßer Anichino, sei guten Mutes. Niemals vermochten Geschenke, Versprechungen und Huldigungen von Rittern, Herren und wem immer - denn viele trugen und tragen mir ihre Liebe an - so viel über mich, daß ich je einen von ihnen geliebt hätte; doch während deiner kurzen Rede bin ich mehr dein als mein Eigen geworden. Ich erkenne, daß du meine Liebe zur Genüge verdient hast, und so schenke ich sie dir und verspreche, dir ihre Früchte zu gewähren, noch ehe die nächste Nacht ganz vergangen ist. Und damit dies wirklich geschehe, so richte dich ein, daß du um Mitternacht in mein Schlafgemach kommst. Die Tür werde ich offen lassen. Auf welcher Seite im Bett ich liege, weißt du. Dahin komme, und sollte ich schlafen, so rüttle mich, bis ich wach werde, und dann will ich dich trösten für die lange Zeit, da du Verlangen nach mir getragen hast. Damit du mir aber auch glaubst, so nimm diesen Kuß als Unterpfand.« Dabei schlang sie den Arm um seinen Hals und küßte ihn voller Liebe, und er sie.
Nach diesem Gespräch verließ Anichino die Dame und ging seinen Geschäften nach, wobei er mit höchster Lust die Nacht erwartete. Egano kam von der Jagd zurück, und müde wie er war, ging er nach dem Abendessen zu Bett, wohin seine Frau ihm folgte und nicht vergaß, ihrem Versprechen gemäß die Tür offen zu lassen.
Anichino kam zur bestimmten Stunde, und nachdem er leise eingetreten war und den Riegel hinter sich zugeschoben hatte, ging er nach der Seite des Bettes, wo die Dame lag. Als er ihren Busen berührte, spürte er, daß sie nicht schlief. Sie aber ergriff, als sie seine Ankunft gewahr ward, seine Hand mit ihren beiden und warf sich dann, sie immer festhaltend, so lange im Bette hin und her, bis Egano davon aufwachte; worauf sie also zu ihm sprach: »Gestern abend wollte ich mich nicht äußern, denn du schienst mir müde; aber jetzt sage mir einmal, Egano, wen du in vollem Ernst von allen Dienern im Hause für den besten, rechtschaffensten und dir am treuesten ergebenen hältst.« Egano erwiderte: »Frau, was soll's, daß du mich so fragst? Weißt du's denn nicht? Ich habe und hatte nie zu einem soviel Vertrauen und Liebe wie zu meinem Anichino. Doch weshalb fragst du danach?«
Als Anichino den Egano wach sah und von sich reden hörte, fürchtete er, von der Dame betrogen zu sein, und versuchte oftmals, die Hand zurückzuziehen und zu entfliehen, allein sie hielt ihn so fest, daß er sich auf keine Weise losmachen konnte. Inzwischen antwortete sie ihrem Gatten: »Das will ich dir sagen. Ich glaubte, daß es sich
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