Das Dekameron
Liebe und durch diese wiederum ihren Besitz gewinnen möchte.
Die junge Witwe, die ihre Augen keineswegs zur Hölle niedersenkte, sondern ihren eigenen Wert ganz so hoch oder noch höher anschlug als er war, und deshalb auch ihre Blicke sehr geschickt umherschweifen ließ, sah sich öfter um und bemerkte bald jeden, der sie mit Wohlgefallen anschaute. So wurde sie denn auch den Rinieri gewahr und sprach lächelnd bei sich selbst: »Nicht umsonst bin ich heute hierhergekommen, denn irre ich nicht, so habe ich jetzt eben einen Gimpel beim Schnabel gefangen.« Und nun fing sie an, ihn einige Male verstohlen anzublicken, und bemühte sich, ihm, so gut sie konnte, zu zeigen, daß ihr an ihm gelegen sei. Andererseits wähnte sie, je mehr Liebhaber sie anlocke und mit dem Verlangen nach ihrer Gunst fange, desto höher steige der Wert ihrer Schönheit, vor allem auch in den Augen dessen, dem sie diese zugleich mit ihrer Liebe geschenkt hatte.
Der gelehrte Schüler der Weisheit aber ließ nun alle philosophischen Gedanken beiseite, richtete seine ganze Seele nur auf sie und begann, sobald er ihr Haus erkundet, hier häufig vorüberzugehen, in dem Glauben, ihr Wohlgefallen zu erwerben. Für diese Wanderungen wußte er verschiedene Vorwände zu finden. Die Dame, welche sich aus dem schon erwähnten Grunde hierdurch geschmeichelt fühlte, stellte sich, als sähe sie ihn gern. Der Gelehrte aber fand bald Mittel, sich mit ihrer Dienerin zu verständigen, dieser seine Liebe zu entdecken und sie zu bitten, daß sie ihre Gebieterin bewege, ihm ihre Gunst zu schenken. Die Dienerin versprach alles mögliche und erzählte es wieder ihrer Gebieterin, welche sie mit dem größten Gelächter von der Welt anhörte und dann sagte: »Hast du gesehen, wo jener Herr die Weisheit, die er von Paris mitgebracht, eingebüßt hat? Nun wohlan, wir wollen ihm geben, was er sucht. Sobald er dich wieder anspricht, wirst du ihm sagen, daß ich ihn noch viel heftiger liebe als er mich, allein daß ich meinen Ruf in acht nehmen muß, um neben den ändern Frauen mit freier Stirn einhergehen zu können. Ist er so weise, wie man sagt, so muß diese Gesinnung mich ihm ja noch viel teurer machen.«
Ach, die Ärmste, die Ärmste! Sie wußte nicht, ihr Mädchen, was es heißt, mit einem gelehrten Manne anzubinden.
Als die Dienerin ihn wieder antraf, richtete sie aus, was ihr von ihrer Herrin aufgetragen war. Froh schritt der glückliche Gelehrte nun zu heißem Bitten, fing an Briefe zu schreiben und Geschenke zu schicken. Alles wurde willig angenommen; indes erfolgten keine anderen Antworten als ganz allgemeine, und so hielt sie ihn lange Zeit vergeblich hin. Inzwischen hatte die Dame ihrem Liebhaber alles entdeckt, und da dieser sich deshalb schon einige Male mit ihr überworfen und etwas Eifersucht gezeigt hatte, schickte sie, um zu beweisen, daß er mit Unrecht solchen Argwohn gegen sie hege, ihre Dienerin zu dem Gelehrten, der sie immer noch mit Bitten zu bestürmen fortfuhr, und ließ ihm in ihrem Namen sagen: zwar habe sie, seit sie seiner Liebe gewiß sei, noch immer keine Gelegenheit finden können, ihm etwas zu Gefallen zu tun, doch hoffe sie, während der bevorstehenden Weihnachtsfestes endlich mit ihm Zusammensein zu können. Deshalb möge er, wenn es ihm gefalle, am Abend nach dem Feste nachts in ihren Hof kommen, wo sie, sobald sie nur könne, zu ihm eilen wolle.
Der Gelehrte, glücklicher als je ein Mensch, begab sich zu der ihm bestimmten Zeit nach dem Haus der Witwe, wurde von der Dienerin in den Hof gelassen und darin eingeschlossen, und fing nun an, seine Dame zu erwarten. Diese hatte sich an ebendiesem Abend ihren Liebhaber kommen lassen, erzählte ihm, nachdem sie fröhlich mit ihm gespeist hatte, was sie diese Nacht zu tun gedenke, und setzte dann hinzu: »Und nun sollst du sehen, wie groß und von welcher Art die Liebe ist, die ich für den empfunden habe und noch empfinde, auf den du törichterweise eifersüchtig geworden bist.« Diese Worte vernahm der Geliebte mit großer Seelenfreude und verlangte nun begierig danach, in Werken zu sehen, was die Dame ihm mit Worten versicherte.
Zufällig hatte es am Tag vorher stark geschneit, und alles war mit Schnee bedeckt. Der Schüler der Weisheit hatte daher noch nicht lange im Hofe verweilt, als es ihn heftiger zu frieren begann, als er wünschte; doch ertrug er's geduldig in der Hoffnung, sich bald zu erquicken. Eine Weile darauf sagte die Witwe zu ihrem Liebhaber: »Laß uns in die Kammer
Weitere Kostenlose Bücher