Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
Vom Netzwerk:
war und Herrn Neri verlassen hatte, kehrte die Gesellschaft, von diesem und jenem sprechend, ins königliche Hoflager zurück.
    Hier hielt der König seine Neigung zwar verborgen, doch keine wichtige Staatsangelegenheit, die sich ereignete, machte ihn die Schönheit und Anmut Ginevras der Schönen vergessen, der zuliebe er auch die ihr so ähnliche Schwester liebte, und so fest verstrickte er sich bald in den Liebesbanden, daß er beinahe keinen ändern Gedanken mehr zu fassen wußte. So unterhielt er denn unter allerlei Vorwänden eine enge Verbindung mit Herrn Neri und besuchte gar häufig dessen schönen Garten, nur um Ginevra zu sehen.
    Als er diese Qualen nicht mehr zu ertragen vermochte und als es ihm in Ermangelung eines ändern Auswegs in den Sinn gekommen war, nicht nur eine, sondern beide Jungfrauen ihrem Vater zu rauben, offenbarte er dem Grafen Guido zugleich seine Liebe und diesen Vorsatz. Dieser aber war ein ritterlicher Mann, und deshalb erwiderte er dem König: »Gnädiger Herr, was Ihr mir sagt, versetzt mich in großes Staunen; und dieses Staunen ist deshalb in mir um vieles größer, als es bei irgendeinem ändern wäre, weil ich Eure Gesinnung von Kindheit an bis zu diesem Tage besser als irgendein anderer gekannt zu haben glaube. Doch nie habe ich in Eurer Jugend, in welcher doch die Liebe leichter über Euch hätte Macht gewinnen sollen, solche Leidenschaft in Euch wahrzunehmen geglaubt. Deshalb scheint mir, was ich von Euch höre, daß Ihr, dem Alter schon nahe, in leidenschaftlicher Liebe entbrannt seid, so neu und seltsam, daß es mich fast ein Wunder dünkt. Käme es mir zu, Euch deshalb zu tadeln, so wüßte ich wohl, was ich Euch mit Rücksicht darauf zu sagen hätte, daß Ihr, noch mit den Waffen in den Händen, in dem neugewonnenen Reiche unter einem Euch wenig bekannten Volke weilt, das voller List und Verrat ist, sowie darauf, daß Ihr, hinreichend beschäftigt mit großen Sorgen und den wichtigsten Angelegenheiten, Euch noch nicht einmal zur Ruhe habt niedersetzen können, und unter so ernsten Umständen dennoch einer schmeichlerischen Liebe Raum geben konntet. Dies ist nicht die Weise eines hochherzigen Königs, sondern die eines kleinmütigen Jünglings.
    Überdies aber sagt Ihr mir, was noch weit schlimmer ist, daß Ihr beschlossen habt, dem armen Ritter seine beiden Töchter zu entreißen, der Euch in seinem Hause über sein Vermögen geehrt hat und Euch diese, um Euch noch höher zu ehren, fast nackend hat sehen lassen, indem er hierdurch bezeugte, wie groß das Vertrauen war, das er auf Euch setzte, und wie zuversichtlich er überzeugt war, daß Ihr ein König und kein räuberischer Wolf seid. Wie, ist Euch schon so bald entfallen, daß es gerade die Gewalttaten Manfreds waren, die Euch den Eingang in dieses Reich öffneten? Und welch ein Verrat ward je begangen, der einer ewigen Strafe würdiger wäre als dieser, durch den Ihr dem, der Euch geehrt hat, seine Ehre, seine Hoffnung und seinen Trost raubtet? Was sollte man von Euch sagen, wenn Ihr das tätet? Vielleicht haltet Ihr es für eine hinreichende Entschuldigung, wenn Ihr sagt: Ich tat es, weil er ein Gibelline ist! Doch ist das die Gerechtigkeit eines Königs, daß die, welche sich, wer immer sie auch seien, unter seinen Schutz begeben haben, also behandelt werden? Ich erinnere Euch daran, o König, daß es Euch zu großem Ruhm gereicht, Manfred besiegt zu haben, daß es aber zu noch viel größerem Ruhm gereicht, sich selbst zu besiegen. Darum besieget Ihr, der Ihr andere zu lenken und zu strafen habt, zuerst Euch selbst, zügelt diese Begierde und beschmutzt nicht mit einem solchen Schandfleck, was Ihr so ruhmreich gewonnen habt.«
    Diese Worte verwundeten das Gemüt des Königs tief und betrübten ihn um so mehr, je mehr er sie für wahr erkennen mußte. Deshalb sprach er nach manchem inbrünstigen Seufzer also: »Graf, wahrlich erkenne ich jetzt, daß jeder andere Feind, wie stark er auch sei, dem erfahrenen Krieger im Vergleich zu seiner eigenen Begierde schwach und leicht zu besiegen scheint; doch wie groß auch mein Schmerz sei, und wie unermeßlich die Kraft, deren es bedarf: Eure Worte haben mich so angespornt, daß, bevor viele Tage vergehen, ich durch die Tat beweisen will, wie ich nicht nur andere zu besiegen verstand, sondern auch Herr über mich selbst zu werden vermag.«
    In der Tat vergingen nach diesen Worten nicht viele Tage, daß der König, der nach Neapel zurückgekehrt war, sich entschloß, die

Weitere Kostenlose Bücher