Das Dekameron
der übrigen Gesellschaft, und als beide den übrigen weit genug vorangeeilt zu sein glaubten, ließen sie sich an einer rings von Bäumen umschlossenen Stelle zwischen Kräutern und Blumen nieder und begannen einander die höchsten Freuden der Liebe zu gewähren. Obgleich sie nun schon eine lange Zeit also geruht hatten, ließ die Lust, die sie empfanden, sie dennoch die Zeit für äußerst kurz halten, und so begab es sich, daß sie zuerst von Spinas Mutter und dann von Currado überrascht wurden.
Tief gekränkt durch das, was er gesehen hatte, ließ Currado, ohne ein Wort zu sagen, die beiden Schuldigen von drei Dienern ergreifen und gebunden auf eine seiner Burgen führen. Von Zorn und Unmut übermannt, hatte er im Sinne, sie eines schmählichen Todes sterben zu lassen. Obgleich auch Spinas Mutter über den Fehltritt ihrer Tochter sehr aufgebracht war und die grausamste Züchtigung derselben nicht für zu hart hielt, konnte sie dennoch nicht ertragen, was sie nach einigen Worten Currados als dessen Absicht erriet. So folgte sie denn eilig dem erzürnten Gemahle nach und bat ihn, sich in seinem Alter nicht im Jähzorn zum Mörder seiner Tochter zu machen und seine Hände nicht mit dem Blut eines seiner Diener zu besudeln, sondern seinem Zorn auf andere Art Genüge zu tun, indem er sie zum Beispiel beide gefangensetzen ließe, daß sie im Kerker und im Elend ihren Fehltritt beweinen könnten. Mit diesen und mit vielen anderen Worten redete die fromme Dame ihm so lange zu, daß er den Vorsatz, sie zu töten, fallen ließ und statt dessen befahl, daß sie an verschiedenen Orten eingekerkert, sorgsam bewacht und so lange bei wenig Speise und viel Ungemach gehalten werden sollten, bis er anders über sie verfügte. Was für ein Leben die beiden jungen Leute in der Gefangenschaft unter fortwährenden Tränen und bei längerem Fasten, als ihnen lieb war, führten, kann sich jeder denken.
Während nun Giannotto und Spina so traurige Tage verlebten und schon ein ganzes Jahr vergangen war, ohne daß Currado sich ihrer erbarmt hätte, geschah es, daß König Peter von Aragonien durch Einverständnis mit Herrn Johann von Procida die Insel Sizilien aufwiegelte und dem König Karl entriß, worüber Currado, als eifriger Gibelline, seine Freude durch Festlichkeiten bezeigte. Dadurch erfuhr auch Giannotto von einem der Leute, die ihn zu bewachen hatten, etwas von dem Ereignis, und als er es hörte, seufzte er laut auf und sagte: »Gerechter Gott, nun sind es vierzehn Jahre, daß ich in der Welt umherirre und auf nichts anderes warte als eben darauf, und jetzt, wo es geschehen ist, muß ich im Gefängnis sitzen und darf nicht hoffen, vor meinem Tode wieder herauszukommen.« »Nun«, sagte der Gefangenenwärter, »was geht es dich denn an, was die großen Könige tun? Was hattest du denn in Sizilien zu schaffen?« Giannotto erwiderte ihm: »Mir ist, als wollte mein Herz zerspringen, wenn ich daran denke, was mein Vater dort zu sagen hatte. Denn so klein ich auch noch war, als ich von dort entfliehen mußte, so erinnere ich mich doch noch, gesehen zu haben, wie er zu König Manfreds Zeit über die ganze Insel zu befehlen hatte.« »Und wer war denn dein Vater?« entgegnete der Schließer. »Meinen Vater«, sagte jener, »brauche ich jetzt nicht mehr zu verhehlen, da die Gefahr, in die zu kommen ich fürchtete, wenn ich ihn entdeckte, mich nun ohne das betroffen hat. Er hieß und heißt, wenn anders er noch am Leben ist, Arrighetto Capece, und ich nenne mich nicht Giannotto sondern Giuffredi. Es gibt keinen Zweifel, daß ich, wenn ich hier heraus und nach Sizilien kommen könnte, dort eine der höchsten Stellen einnähme.« Der Schließer ließ sich auf weiter nichts ein, sondern berichtete, sobald er Zeit dazu fand, das ganze Gespräch dem Currado. Zwar tat dieser dem Gefangenenwärter gegenüber, als ob der Bericht ihm gleichgültig wäre, doch ging er sogleich zu Frau Beritola und fragte sie freundlich, ob sie vielleicht von Arrighetto einen Sohn namens Giuffredi gehabt habe. Weinend antwortete die Dame, daß der älteste ihrer beiden Söhne, wenn er noch am Leben wäre, so hieße und etwa zweiundzwanzig Jahre alt wäre.
Als Currado dies vernahm, kam er zu der Überzeugung, der Gefangene sei es wirklich, und es kam ihm der Gedanke, daß er, wenn es sich so verhalte, zu gleicher Zeit ein großes Werk der Barmherzigkeit tun und seine und seiner Tochter Schande tilgen könne, wenn er diese jenem zur Frau gäbe. Aus diesem Grunde
Weitere Kostenlose Bücher