Das Deutsche als Männersprache
welchem Gesichtspunkt sollen nun die Neologismen betrachtet werden? Unter dem Gesichtspunkt ihrer wortbildnerischen Produktivität. Zur Debatte steht also nicht Kurioses, sondern Symptomatisches. (1978a: 66)
Möglicherweise ist die »wortbildnerische Produktivität« der Frauen in den siebziger Jahren von ihm nicht erfaßt worden, weil sie für ihn in die Rubrik »Kuriosa« fällt. Dies tut sie anscheinend auch für Broder Carstensen, der von 1978 bis 1982 zu Beginn jeden Sprachdienst- Jahrgangs die wichtigsten Neuzugänge des vergangenen Jahres vorstellte und kommentierte. 32 Carstensen aber hat Spaß am Kuriosen; er will seinen Leserinnen (vor allem den männlichen) so köstliche Unterhaltung nicht vorenthalten. Nicht daß er etwa die Sprache der Frauenbewegung an den Quellen studierte, etwa mal Emma oder Courage selbst in die Hand nähme! An sein Ohr dringt diese Sprache nur vermittelt über die seltenen und in der Regel verzerrten Resonanzen im Spiegel und anderen Organen der Männerpresse. In seinem 1978er Beitrag, der die Serie einleitet, schreibt er, es liege
in der Natur der Sache, daß dieser Überblick nicht vollständig sein kann und daß die Auswahl der Wörter des Jahres weitgehend subjektiven Kriterien unterliegt. (1978: 1)
Natürlich kann frau Carstensen nicht zwingen, auch feministische Publikationen zu berücksichtigen. Wissenschaftlich nicht annehmbar ist es jedoch, wenn diese Selbstbeschränkung eindeutig Fehlinformationen der Leserinnenschaft zur Folge hat. So berichtet Carstensen gleich zweimal über die (US-amerikanische) feministische Diskussion zum Thema Wirbelsturm-Namen ((1978: 7) und (1979: 21)). Die Amerikanerinnen hatten gemeint, diese Wirbelstürme könnten ruhig auch mal männliche Namen bekommen. Carstensen, Professor der Amerikanistik, der allerdings die amerikanische Frauenbewegung genauso ignoriert wie die bundesdeutsche, meint aber, den Spiegel wiedergebend, der Vorschlag stamme von Alice Schwarzer. Sie hat vermutlich Wichtigeres zu tun, als sich mit den hierzulande eher seltenen Hurricanes zu befassen.
Weiter erfahren wir von Carstensen:
Der Spiegel vom 13. 11. 1978 löste ein in der deutschen Sprache seit langem offenes Problem: wie man weibliche Soldaten, Offiziere etc. nennt. Formen mit -in für Berufe und Tätigkeiten, die bisher nur oder überwiegend von den Männern ausgeübt wurden, dringen immer stärker vor, und die Ministerin hat inzwischen Eingang in die deutsche Sprache gefunden, aber die Soldatin, die der Spiegel in seiner Titelgeschichte 13mal erwähnte..., fehlt bisher. (1979: 21)
Diese Fehlinformation geht ebenfalls auf die Feminismus-Abstinenz des Verfassers zurück. Nicht nur was im Spiegel steht hat »Eingang in die deutsche Sprache gefunden«. Das angeblich »seit langem offene Problem« löste nicht der Spiegel, sozusagen im Handstreich mittels einer Titelstory im Jahre 1978, sondern die (neue) deutsche Frauenbewegung in ihrer Gesamtheit schon weit früher. Sie ging dem »Problem« beherzt an die Wurzel und löste es gleich für sämtliche Maskulina. Mit anderen (linguistischen) Worten: Die Frauenbewegung machte - in einem Akt fröhlicher Anarchie — aus der bisher bestenfalls semi-produktiven Wortbildungsregel >Movierung mit -in < eine produktive, d. h. uneingeschränkt an beliebigen Maskulina operationsfähige Regel. Wo der Mond zur Mondin, der Wind zur Windin und ein ruhender Pol zu einer ruhenden Polin wird, ist ein Routinefall wie die Soldatin wohl kaum als »offenes Problem« einzuordnen.
»Interessant ist auch die Armeefrau«, meldet Carstensen noch eine weitere Spiegel- Lesefrucht als Neologismus (1979: 21). Gut abgeschirmt, kann er nicht wissen, daß (zahllose!) neue Komposita auf - frau, mit und ohne Pendant auf - mann , ein wesentlicher Beitrag der Frauenbewegung zum »Wortzuwachs der siebziger Jahre« sind, daß der Spiegel da lediglich nachplappert.
Carstensen ist bekannt als jemand, der seine Arbeit mit äußerster Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt betreibt. Daß er das Thema »Frauenbewegung und Sprachwandel« so nachlässig, ja schludrig behandelt, wie er wohl kein anderes behandeln würde, wird eher einen persönlichen und im übrigen unter seinen männlichen Kolleginnen weit verbreiteten Grund haben: Geringschätzung. Geringschätzigkeit ist denn auch der Grundton seiner diesbezüglichen Ausführungen, erkennbar schon an den Überschriften: »Weibliches und Kindliches« (1979:21), »Emanzinnen« (1980:20), »Dämliche Fräuleins«
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