Das Deutsche als Männersprache
der zentrale Bereich dessen, was so »Realität« genannt wird 35 , zweitens hat nie eine feministische Sprachkritikerin behauptet, sie wolle nur die Sprache ändern und den Rest dem gewöhnlichen patriarchalischen Lauf der Dinge überlassen.
Ich selbst habe die Sprache des Patriarchats sehr lange als »meine eigene« anerkannt und verteidigt. Noch 1976 benutzte ich Wörter wie Brüderlichkeit (statt Mitmenschlichkeit), ohne mir Böses dabei zu denken, und wurde von frauenbewegten Nicht-Linguistinnen des öfteren korrigiert. Lästig und zudringlich fand ich das damals — ich wußte ja schließlich, wie ich es gemeint hatte: bestimmt nicht diskriminierend. Ich wußte als Fachfrau auch besser, wie Sprache funktioniert — wo kämen wir denn hin, wenn wir, wie diese Laiin-nen, alles so wörtlich nehmen würden. Derartige kleinkarierte Krittelei von Nicht-Fachfrauen rangierte bei mir auf derselben Stufe wie »sprachbewußte« Mätzchen à la siebzehn Jahre jung — die Betreffenden hatten eben keine Ahnung von der subtilen Funktionsweise relativer Adjektive bzw. von sprachlichen Mechanismen überhaupt.
Inzwischen bin ich gründlich eines Besseren belehrt worden. Das verdanke ich nicht nur diesen Frauen, sondern auch den Überreaktionen einiger Männer. Als Frau und Sympathisantin der Frauenbewegung hatte ich mir schließlich gesagt: Nehmen wir einmal an, daß an der Kritik doch was dran ist. Untersuche ich mal eine Weile nicht das italienische gerundio oder deutsche Sprachpartikel, sondern das System der Personenbezeichnungen im Deutschen in verschiedenen Mitteilungszusammenhängen. Je mehr ich also einfach »genauer hinsah«, um so mehr wurde mir klar, daß alles eigentlich noch viel schlimmer war, als es die anderen Frauen bis dahin wahrgenommen hatten. Immerhin vermittelt langes linguistisches Training doch einigen Scharfblick, wenn frau sich einen Objektbereich erst mal zur Analyse vorgeknöpft hat. — Zufällig ergab es sich dann, daß ich im In- und Ausland Vorträge halten sollte. Ich berichtete also von meinen neu gewonnenen Erkenntnissen. Bis dahin war ich gewohnt, daß meine linguistischen Beobachtungen und Ergebnisse mit freundlichem Interesse auf- und angenommen wurden. Nun waren die Reaktionen spürbar anders. Wahrscheinlich war es die implizite Aufforderung zur Änderung des eigenen Sprachverhal-tens, die »nicht ankam« (um es gelinde auszudrücken). Registrieren, Beschreiben, ja — das ist genuin linguistisches Arbeiten, wie gehabt. Aber Kritisieren und Werten? Und noch dazu mit einem feministischen Interesse?
Man oder frau kann lange wegsehen oder die Augen verschließen, wie auch ich es lange getan habe. Aber wenn frau einmal die Augen geöffnet und genau hingesehen hat, kann sie erstens die dabei gewonnenen Einsichten nicht wieder vergessen und wird zweitens immer mehr Unrat entdecken. Es ist nach meiner Auffassung und der zahlloser Frauen und einiger Männer eine unumstößliche Tatsache, daß unsere Sprache nicht nur von Anglizismen und ähnlichen anerkannten Ismen, sondern vor allem von Patriarchalismen 36 nur so strotzt, im Lexikon wie auch im engeren grammatischen Bereich. Erstaunlich ist nur, daß wir das so lange nicht gesehen haben. Erstaunlich ist auch, daß wir Frauen diese unsere vom Maskulinum beherrschte Sprache so lange als »unsere eigene« anerkannt haben und nicht schon viel eher zu einer gründlichen Ent-patrifizierung und Feminisierung geschritten sind.
4 Die Hauptbereiche des Feminisierungsprozesses — Ein Überblick
4.1 Vorbemerkung zur Materialsammlung
Die im folgenden vorgestellten Daten entnehme ich meiner Sammlung von ca. 10 000 Belegen, mit der ich im November 1980 begonnen habe und die kontinuierlich anwächst. Die Belege entstammen überwiegend der geschriebenen Sprache; ich berücksichtige aber auch alle einschlägigen Auffälligkeiten gesprochener Sprache, die mir begegnen. Die Sammlung dient mir als Grundlage für meine Untersuchungen zum Thema »Frauenbewegung und Sprachwandel«. Anders als bei Uwe Förster ist mein Korpus »die Sprache, die mich umgibt«, also alles, was mir an gedruckter Sprache unter die Augen und an gesprochener Sprache in die Ohren kommt. Diesbezüglich sind mein Vorgehen und meine Auswahl vermutlich ähnlich subjektiv wie die von Carstensen , nur ist mein Erkenntnisinteresse ein anderes, und meine Lektüre hat — meiner Aufgabenstellung entsprechend — zwei Schwerpunkte statt einen: Sprachliche Erzeugnisse des Patriarchats und der
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