Das Deutsche als Männersprache
wie weibliche und männliche Kandidaten, Bewerber etc. wird, unbestreitbar, das Maskulinum »geschlechtsneutral« verwendet. Was allerdings bei dieser »abgehobenen«, klassischsynchron orientierten Analyse als »unlinguistisch« unter den Tisch fällt, ist der oben skizzierte, langwierige und schmerzhafte historische Prozeß der Befreiung aus realer männlicher Unterdrückung, Bevormundung und Ausschließung aus allen Berufen und öffentlichen Ämtern. Es war erst dieser Befreiungsprozeß, der zu der heute beobachtbaren »Unmarkiertheit« geführt hat. Und »unmarkiert verwendbar« heißt ja nicht etwa, daß »Unmarkiert-Verwenden« gängige Praxis ist. Auch heute noch werden maskuline Personenbezeichnungen überwiegend genauso verwendet wie eh und je: als Bezeichnungen für Männer. Die für manche Vorkommen nachweisbare »Geschlechtsneutralität« derselben Maskulina dient höchstens patriarchalischen Verschleierungs- und Rechtfertigungsinteressen: Früher wußten wir wenigstens, daß wir nicht gemeint waren und nicht gemeint sein konnten. Sprachliche Form und Realität stimmten überein — diese Maskulina hatten ja nie etwas anderes bezeichnet als Männer. Heute wissen wir »eigentlich« auch, daß nicht von uns die Rede ist, aber nie ganz sicher (wegen der paar raffinierten Ausnahmen) — und vor allem können wir nichts mehr beweisen.
Warum heißt Zimbabwe heute »Zimbabwe« und nicht mehr »Rhodesien« nach seinem früheren Kolonialherrn Cecil Rhodes? Warum heißt Indonesien »Indonesien« und nicht mehr »Niederländisch-Indien« nach seinen ehemaligen Kolonialherren?
In den Nachrichten hören wir meist nicht »Zimbabwe«, sondern »Zimbabwe-Rhodesien«, damit auch diejenigen Bescheid wissen, die die politischen Entwicklungen nicht so schnell mitkriegen. — Auf viele Frauen nun wirken Ausdrücke wie weibliche Hochschullehrer, Parlamentarier ähnlich zwittrig und zwiespältig wie Zimbabwe-Rhodesien. Der Teil weiblich (bzw. Zimbabwe) steht für die neue, unter schweren Opfern erkämpfte Realität — der maskuline Teil (bzw. Rhodesien) erinnert an die alte, offiziell überwundene Ordnung, die doch noch überall j mächtig ist.
Da Feministinnen die alte Ordnung abschaffen und nicht dazu beitragen wollen, sie in der Sprache zu konservieren, haben sie einen neuen Umgang mit dem Attribut weiblich etabliert. Der konservativ-patriarchalische, auch »korrekt« genannte Gebrauch von »weiblich plus Maskulinum« wie in
Daß es auch anders geht, machen uns andere Länder vor, wie Schweden (22,6 Prozent weiblicher Parlamentarier) oder Norwegen (23,9 Prozent). ( Emma 80.5.26)
wird mehr und mehr zurückgedrängt zugunsten des progressivfeministischen »weiblich plus Femininum«:
Dieser Beruf ist ziemlich neu für Mädchen aus meiner Gegend, obwohl es einige weibliche Kolleginnen geben soll. ( Emma 80.12.41)
Er konnte... mit seinen Kollegen vergnügt zum geistigen Salto mortale ansetzen — über dem Netz, versteht sich — das die weiblichen Assistentinnen stets gespannt halten. ( Emma 80.12.53)
Die Tatsache, daß Island eine weibliche Präsidentin bekommen hat... ( Emma 80.9.58)
»Sie sind meine erste weibliche Gesprächspartnerin bei einem Interview .« (Dirigentin Blankenburg in einem Rundfunk-Interview)
Tatsächlich hat man in Hessen nicht gerade eifrig nach einer weiblichen Leiterin gesucht. (Emma 79.4.45)
Offenbar empfinden viele Frauen (ich schließe mich ein) die Redundanz dieser Konstruktion als kaum störend im Vergleich zu dem Verstoß, eine Frau mit einem Maskulinum zu bezeichnen.
4.4.3 Leserinnenbriefe sind keine Leserbriefe
Sibyll e Helferich, Vorsitzende der soeben gegründeten Frauenpartei, stellte sich bei der Berliner Frauensommeruni 1979 im Rahmen einer Großveranstaltung dem Publikum mit folgenden Worten vor:
»Ich bin Tierarzt .«
Tobendes Gelächter des ganzen Auditoriums. Sibylle verstand erst nicht, was los war, und korrigierte sich dann: »Ich bin Tierärztin .«
Die Frauenpartei hatte einen schweren Stand an jenem Abend. Und Sibylles sprachlich mißglückter Einstieg hat das Unternehmen in den Ohren der meisten Anwesenden nicht gerade als vertrauenswürdig ausgewiesen. Die feministischen Sprachwächterinnen sind streng, das konnte ich da hautnah erleben, und Sibylle tat mir richtig leid. Sie hatte allerdings die allerwichtigste feministische Kongruenzregel verletzt:
Eine Sprecherin bezeichnet niemals
sich selbst mit einem Maskulinum!
Die patriarchalische Grammatik
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