Das Deutsche als Männersprache
Harmonie
Kongruenz heißt Übereinstimmung, Gleichförmigkeit, Harmonie. In der Sprache des Patriarchats bedeutete das: Die Welt kongruiert mit dem Mann. Der Mann hatte sich die Welt gedanklich so erklärt und geordnet und faktisch so eingerichtet, daß sie ihm gleichförmig war, mit ihm übereinstimmte, kongruierte. Sie war Geschlecht von seinem Geschlecht geworden. Von dem Mann auf der Straße über den Staatsmann bis zu Gott dem Herrn. Von den Muselmännern bis zu den Buschmännern. Von den Heinzelmännchen über die Mainzeimännchen bis zu den Marsmännchen. Vom Hampelmann über den Schneemann bis zum Weihnachtsmann. Vom Henkelmann über den Ballermann bis zu Little Boy und Fat Man, den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki.
Es störte natürlich die Harmonie empfindlich, daß es neben dem männlichen noch »das andere Geschlecht« gab. Deshalb wurde es-hauptsächlich mittels der Grammatik — kurzerhand gleichförmig, kongruent gemacht: Neunundneunzig Lehrerinnen und ein Lehrer, das sind in »unserer« Sprache genau einhundert »Lehrer«. Im Französischen sind diese einhundert Personen nicht »elles«, sondern »ils«.
Der Mensch schlechthin- das kann nur ein Mann sein:
Kein gesunder Mensch kann drei oder sechs Wochen ohne Frau auskommen (...). (Fußball trainer Rehhagel über mehrwöchige Trainingslager. Spiegel 83.7.165)
Jede Sprache entwickelt sich (...) nicht anders als jeder Mensch sich vom Kind zum Jüngling, vom Jüngling zum Mann und zum Greis entwickelt. (Staiger 8 1968 : 208)
Die Frau mag selbst Zusehen, wo sie bleibt. Entweder findet sie sich damit ab, dem männlichen Geschlecht zugezählt zu werden, oder damit, daß sie als Mensch nicht existiert.
Die Frau von heute lehnt beides ab. Die zugestandene Koexistenz als Mann gefällt ihr ebensowenig wie die Nichtexistenz als Mensch.
Endlich beginnt sie selbst zu sprechen, die Welt zu ordnen und zu benennen nach ihrem Maßstab. Sie bezeichnet sich selbst und andere Frauen nicht mehr mit einem Maskulinum. Die Feministische Kongruenzregel etabliert eine neue Harmonie . Mit der sanften Gewalt des Wassers unterspült sie die Fundamente der Sprache des Patriarchats und damit des Patriarchats selbst.
Eine Welt, die mit beiden Geschlechtern kongruiert (harmoniert), wird eine humane Welt sein.
1983
Weibliches Schicksal aus männlicher Sicht
Über Syntax und Empathie
1 Einleitung
Die Anregung für das Thema dieses Aufsatzes bekam ich vor etwa einem Jahr in Zürich.
Ich hatte einen Vortrag über »Sprache, Geschlecht und Macht« gehalten. Es ging darin um die Kritik der Frauen an Sprache, Sprachverwendung und Sprachwissenschaft.
Gegen Schluß der Diskussion meldete sich eine Literaturwissenschaftlerin. Sie sagte, das sei ja alles gut und schön mit unserer Kritik an Ausdrücken wie Fräulein Müller, an Maggie statt Premierministerin Thatcher oder an Mrs. John Brown statt Ms. Mary Brown. Wir hätten ja recht. Aber wir gingen doch am wirklich Wesentlichen und Schlimmen ständig vorbei. Und sie begreife nicht, warum wir das täten. Wirklich verheerend sei doch, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, die »ganz normale« Berichterstattung über Vergewaltigungen, überhaupt über Gewalt gegen Frauen. Diese unglaublichen Verharmlosungen! Diese Gefühllosigkeit gegenüber den Opfern. Diese Einfühlung, statt dessen, in die Seele des Täters. Ihr jedenfalls käme es beim Lesen so vor, als würde der Frau durch solche Art von Texten, sogenannt objektive Berichterstattung, jeweils noch ein zweites Mal Gewalt angetan. (Nachtrag 1984: Ein konkretes Beispiel eines Journalustmordes behandle ich in der Glosse »Explosion einer geschundenen Seele«, in diesem Band.) Sie schloß mit der Frage, was ich denn, als gelernte Linguistin, zu diesem Tatbestand zu sagen hätte. Und wenn wir nichts dazu sagen könnten, wann die Linguistik sich endlich um das Thema kümmern würde.
Ich hatte tatsächlich nichts zu sagen. Dies ist von meiner Seite der erste Versuch, mich an das »Riesenthema« heranzuwagen. Soweit ich die gegenwärtige linguistische Diskussion in der Bundesrepublik überblicke, ist es überhaupt der erste Versuch.
Es geht, linguistisch gesprochen, um folgende Fragen:
1. Ist der pychologische Begriff der Empathie (Einfühlung) linguistisch überhaupt faßbar? Mit anderen Worten: Läßt er sich an konkret beobachtbaren Eigenschaften genuiner Gegenstände der Linguistik wie Sätzen, Äußerungen und vor allem Texten (gesprochenen und geschriebenen)
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