Das Diamantenmädchen (German Edition)
sie nicht der richtige Weg, den Tag zu beginnen. Sie wanderte durch den Saal zu ihrem Schreibtisch. Es war noch nicht allzu viel los. Fräulein Platner saß an der Telephon-Fernschreibanlage und gab Texte nach München durch. Die Büroboten eilten an den Schreibtischen vorbei und sammelten die Umlaufpost in den braunen Manilaumschlägen in ihre schwarzen Ledertaschen. Telephone klingelten einsam, ohne abgenommen zu werden, und auf einmal roch es nach Kaffee. Lilli sah von ihrer Schreibmaschine hoch, in der ein eben eingespanntes Blatt darauf wartete, beschrieben zu werden. Da kam er schon. Ein junger Mann in weißer Kittelschürze mit ein paar Kaffeeflecken, eine weiße Mütze auf dem Kopf, eine Zehn-Liter-Kanne aus Aluminium umgeschnallt: der Berliner Kaffeebote. Fliegender Händler der Großraumbüros, dachte Lilli spöttisch und gab ihm ein Zeichen. Der junge Mann kam zu ihr, sie hielt ihm ihre Tasse hin, und er drehte den Hahn an seinem Kaffeefässchen auf.
»Milch und Zucker?«, fragte er dann höflich.
»Milch«, sagte Lilli, »nicht zu viel.«
Sie hatte es eigentlich nicht nötig, den Kaffeeboten kommen zu lassen, aber sie fand, dass sein Kaffee, obwohl er durch halb Berlin transportiert wurde, besser war als der, den sie in der Kantine aufbrühten. Der junge Mann schenkte ihr aus der Original Thermoskanne etwas Milch ein und reichte ihr die Tasse dann mit der kleinen Verbeugung, die sie immer so niedlich fand.
»Achtzig Pfennige«, sagte er lächelnd, und sie gab ihm eine Mark. Der Kaffeebote versorgte seine Thermoskanne und ging weiter. Lilli nahm einen Schluck und begann, sich mit dem diesig düsteren Tag auszusöhnen. Auf ihrem Schreibtisch lagen die Photos, die Hertwig ihr von Berliner Schleifwerkstätten und von verschiedenen Diamanten gemacht hatte. Ihre Diamantenserie sollte in der kommenden Ausgabe mit einer Doppelseite über die berühmtesten Diamanten der Welt beginnen. Als sie das Bild des Blue Hope betrachtete, musste sie lächeln und sah sich den Ring mit ihrem kleinen Green Despair an. Wie jung sie damals gewesen war. Wie jung und wie verliebt, dachte sie dann und spürte das vertraute Gefühl in ihrem Magen, so, als ob jemand mit kühlen Fingern ihr Inneres berührt hätte, und dieser Jemand wäre Paul. Wie kam es, dass so eine Backfischliebe einen so lange verfolgte, dass man immer das Gefühl hatte, da sei etwas nicht zu Ende gebracht worden, da hätte man eine wichtige Abzweigung im Leben verpasst?
»Guten Morgen«, sagte da jemand, und sie fuhr zusammen. Vor ihr stand ein Herr im hellen, offenen Mantel und lächelte sie an:
»Oh, ich habe Sie erschreckt! Tut mir sehr leid!«
»Nein, nein«, wehrte Lilli ab, »ich war nur gerade … na, in Gedanken.«
Sie sah ihn etwas überrascht an. Er war nicht sehr groß, aber gut gekleidet, und sein Gesicht wirkte sympathisch, wie er da so etwas verlegen vor ihr stand.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie, nun auch lächelnd.
»Ja«, sagte der Mann, nahm seine Brieftasche heraus und entnahm ihr einen Zeitungsausschnitt, den er jetzt sorgfältig auseinanderfaltete. Lilli konnte nicht umhin zu bemerken, dass er für einen Mann ungewöhnlich gepflegte Hände hatte.
»Man hat mir gesagt, dass Sie diesen Artikel geschrieben haben«, sagte er jetzt und reichte ihr den Ausschnitt. Lilli sah ihn sich kurz an, dann erinnerte sie sich.
»Ach ja«, sagte sie, »die Sophomores . › Betrieb in Berlin ‹ hieß der Artikel, glaube ich. Aber das Photo ist nicht von mir«, fügte sie hinzu und wollte es ihm zurückreichen, »das ist von Müller.«
»Nein, nein«, sagte der Mann freundlich, »mir geht es gar nicht so sehr um das Photo. Ich würde Sie gerne etwas fragen.«
»Ja«, antwortete Lilli nach einem kurzen Augenblick, »ich Sie auch. Wer Sie sind, zum Beispiel.«
Der Mann lachte.
»Oh je … ich habe mich gar nicht vorgestellt. Schambacher«, sagte er und streckte ihr die Hand hin, »Dr. Schambacher. Ich bin von der Kripo. Nicht erschrecken!«, fügte er sofort hinzu. »Es geht nicht um Sie.«
Lilli musste lächeln.
»Ich bin nicht erschrocken«, erwiderte sie, »ich bin schon ein großes Mädchen.«
Sie nahm seine Hand.
»Kornfeld«, sagte sie dann, »wollen Sie sich nicht setzen? Wie kann ich also der Kripo Berlin helfen?«
Schambacher setzte sich und sah die Photos auf ihrem Schreibtisch.
»Seltsam«, bemerkte er im Gesprächston, »wie man plötzlich überall hellbraune Hüte sieht, wenn man sich einen hellbraunen Hut gekauft
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