Das Diamantenmädchen (German Edition)
Universität kannte: langgezogene, halbhohe Schränke mit sehr flachen Schubladen in allen Breiten für Photoabzüge in allen Größen. Schubladen mit Tausenden von Kästchen für die Filmrollen und schließlich Schubladen wie Zettelkästen, in denen Photos wie Karteikarten nach Thema und Datum stehend einsortiert waren.
Ein älterer Herr kam auf sie zu. Er trug Ärmelschoner und eine Weste, die über seinem kleinen Spitzbauch ein wenig spannte. Seine altmodische Brille spiegelte im Licht. Es war sehr hell hier unten – starke Birnen unter schwarzen, innen weiß lackierten Schirmen hingen in kurzen Abständen von der Decke. Er lächelte Lilli an.
»Nanu, Fräulein Kornfeld, so früh am Morgen bei mir in der Unterwelt?«
Lilli lachte zurück. Schambacher gefiel das. Er hatte in seinem Beruf so oft mit verbrauchten, verdorbenen, verkorksten Menschen zu tun, dass ihn die Frische dieser jungen Frau … er suchte im Stillen nach dem richtigen Wort … dass ihn diese Frische einfach freute. Ja, das war es wohl.
»Tja, Herr Sanders«, seufzte Lilli übertrieben, »Mord und Totschlag führen uns zu Ihnen. Wir haben Besuch von der Polizei.«
Sie stellte Schambacher vor, der noch einmal kurz erklärte, dass es ihm darum ging, auf dem Originalphoto den Gesuchten vielleicht besser erkennen zu können, damit man den Toten einwandfrei identifizieren konnte.
»Welche Ausgabe ist das?«, fragte Sanders, der den Ausschnitt mit krauser Stirn begutachtete.
Lilli hatte das Datum schon oben in der Redaktion herausgesucht und konnte Sanders die Nummer sagen. Sanders ging mit großer Sicherheit zu einem der Schränke, zog eine Schublade heraus und blätterte mit flinken Fingern die Karten durch, die zwischen die Photos gesteckt waren.
»Wie viele Photos haben Sie hier?«, fragte Schambacher interessiert.
Sanders schnaubte freundlich, während er noch suchte.
»Die B.I. , lieber Herr, gibt es seit 1892, und sie ist die größte
Bildillustrierte des Reichs. Wir haben hier Hunderttausende von Photos, Stichen, Zeichnungen … unser Bildarchiv war lange Zeit größer als das der Reichsbildstelle.«
Sanders richtete sich auf und holte zu einer großen Geste aus, die den ganzen Saal umfasste.
»Photoplatten von vor dem Krieg. Zehntausende. Wir haben sie alle. Könige und Kaiser, Rennfahrer und Herrenreiter, Flieger und Stars – was Sie suchen, bei uns finden Sie’s.«
Lilli stieß Schambacher von der Seite sanft an, und als er sich ihr zuwandte, zwinkerte sie ihm rasch und schelmisch zu. Schambacher musste ein Lachen unterdrücken. Sanders ging offensichtlich in seinem Beruf auf.
»Ah«, sagte er, »hier haben wir’s.«
Er hatte einen Abzug herausgenommen und reichte ihn Schambacher.
»Lupen haben wir hier«, bemerkte er noch und wies auf einen der Tische, wo – ähnlich wie Bürolampen – große Lupen angebracht waren, die man zu sich heranziehen konnte. Schambacher sah sich das Bild genau an. Es war viel schärfer und detaillierter als der Zeitungsabzug. Auch Lilli beugte sich neugierig darüber. Sie roch Schambachers Rasierwasser; unaufdringlich, aber gut, und ein bisschen nach Wald.
»Ja«, stellte Schambacher befriedigt fest, »das ist er. Sehr gut.«
Er richtete sich auf und wedelte mit dem Abzug.
»Kann ich das mitnehmen?«
Sanders wiegte den Kopf.
»Eigentlich darf ich das gar nicht … aber Sie sind ja von der Polizei. Unterschreiben Sie mir eine Quittung, ja?«
Schambacher nickte lächelnd. Manche Dinge hatten sich trotz Krieg und Revolution seit der Kaiserzeit nicht geändert – Deutschland war das Land der Quittungen.
Lilli begleitete Schambacher noch bis in die Eingangshalle. Vor der Tür blieb er stehen, verbeugte sich leicht vor ihr und sagte sehr höflich:
»Es war mir ein Vergnügen, Fräulein Kornfeld.«
Lilli wusste nicht genau, ob es ihre berufliche oder auch ein bisschen persönliche Neugier war, die sie antrieb, aber sie reichte ihm die Karte mit der Telephonnummer der Redaktion und fragte rasch:
»Wollen Sie mir vielleicht Bescheid geben, was aus Ihrem Mordfall wird? Gute Geschichten können wir immer brauchen.«
Schambacher wollte schon höflich verneinen, aber dann fiel ihm noch etwas ein, was er über dem Photo vergessen hatte.
»Sagen Sie, Fräulein Kornfeld, jetzt muss ich doch fragen: Gibt es irgendeinen Grund, weshalb Sie gerade über Diamanten schreiben?«
Lilli zögerte einen winzigen Augenblick, bevor sie antwortete. Von Schubert hatte ziemlich deutlich gemacht, dass die Sache
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