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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Wirkung. Das Buch flog ins Gras, und die Hängematte schaukelte wild und leer, während sie bereits hinter den Jungens herrannte. Sie war dünn und schnell für ihr Alter, deshalb hatte sie die beiden bald eingeholt.
    »Wohin?«, fragte sie atemlos, während sie im Dauerlauf neben den beiden Schritt hielt.
    Paul zuckte die Schultern und sah zu Wilhelm hin.
    »Du darfst nicht mit!«, schrie Wilhelm ganz und gar im herablassenden Ton des großen Bruders. »Es ist geheim!«
    »Wenn es geheim ist, laufe ich euch so lange hinterher, bis ich es weiß, und dann sag ich es Papa.«
    Lilli spielte va banque, aber sie war ziemlich sicher, dass es etwas Verbotenes war, was ihr Bruder vorhatte.
    »Mach doch!«, sagte ihr Bruder trotzig, aber Lilli merkte, dass da eine kleine Unsicherheit in seiner Stimme war und lief einfach weiter nebenher. Paul schob sich an ihr vorbei und lief nun direkt neben Wilhelm. Sie waren längst aus dem Gartentor heraus und rannten die staubige, augustheiße Chaussee hinunter. Die Grillen sangen, und der Wind wehte leicht durch die mächtigen Baumkronen, aber sonst war es sehr still. Ihre Sandalen klangen dumpf im Takt auf der ungepflasterten Straße.
    »Lass sie doch«, keuchte Paul nach einer Weile leise in Wilhelms Richtung, »sonst erzählt sie’s!«
    Wilhelm drehte die Augen hoch, und Lilli wusste, dass sie gewonnen hatte. Paul hatte sich eben verraten. Sie hatten tatsächlich etwas Verbotenes vor. Jetzt kam es darauf an, nicht alles noch zu verderben. Man musste Wilhelm das Gefühl geben, dass er alleine entscheiden durfte, so weit kannte sie ihren Bruder schon, obwohl sie erst zehn war.
    »Bitte, Wilhelm!«
    Ihr Atem flog, und sie sprach in kurzen Sätzen, während ihre Zöpfe im Takt flogen.
    »Ich hab doch übermorgen Geburtstag. Bitte!«
    Wilhelm hatte die Arme eng an den Seiten, während er rannte, Paul bewegte seine wie eine Dampfmaschine, und Lilli schlenkerte sie ein bisschen.
    »Also gut!«, sagte Wilhelm schließlich großmütig. »Aber du darfst kein Wort verraten. Kein einziges. Sonst mach ich dein Geschenk kaputt.«
    Lilli vergaß für einen Augenblick alles andere.
    »Was ist es, Wilhelm?«, fragte sie atemlos. »Was ist es? Der Roller?«
    Wilhelm grinste sie bloß an.
    »Ich sag’s dir nicht!«, schrie er vergnügt und rannte noch etwas schneller. Lilli konnte kaum noch mithalten. Mittlerweile waren sie schon am Rand des Parks angelangt, in dessen Mitte der Fischtalteich lag. Die beiden wurden langsamer und fielen in einen gemächlichen Trab, gerade etwas schneller als Gehen. Lilli, die nun doch ganz schön außer Atem war, lief erleichtert nebenher. An Wilhelms gebräunte Beine schlug im Takt sein Fahrtenmesser, das Papa ihm vor drei Jahren zu seinem zehnten Geburtstag geschenkt hatte und das im Sommer bei allen Unternehmungen dabei sein musste. Paul dagegen hatte seinen Bogen über die linke Schulter gehängt. Alle Jungen aus der Gegend beneideten ihn heiß darum, denn dieser Bogen war aus schwarzem Holz, trug zwei oder drei mittlerweile ziemlich zerzauste Federn an einem Ende und stammte aus Afrika. Pauls Großvater hatte ihn von einer seiner Reisen in die Diamantengebiete mitgebracht, und Paul hatte ihn sich schon so oft zum Spielen ausleihen dürfen, dass er jetzt sozusagen ihm gehörte. Es war der beste Bogen der Welt, obwohl die afrikanischen Pfeile mittlerweile alle in Berliner Gebüschen verloren gegangen waren und es jetzt deutsche Haselstecken tun mussten, die ganz nach Bedarf geschnitten wurden. Lilli war nun doch sehr gespannt, was die beiden vorhatten.
    »Du darfst kein einziges Wort sagen!«, wandte sich Wilhelm an sie, als sie bei dem nahezu undurchdringlichen Gebüsch am Ufer des Teiches angekommen waren. Auf dem See schwammen träge und dicht an dicht Seerosenblätter. Es roch nach Wasser und nach trockenem Gras. Ab und zu schnalzte ein Fisch aus dem Wasser.
    »Du musst es schwören!«, sagte Paul eindringlich.
    Lilli hob zwei Finger der linken Hand und machte mit der rechten ein nachlässiges Kreuz auf ihr Herz. Das war das Ritual seit frühester Kinderzeit. Es bedeutete, dass man bereit war zu sterben, wenn man ein einziges Wort sagte. Keiner wusste mehr, wer den Schwur eingeführt hatte; es war schon immer so gewesen, und es würde immer so bleiben.
    »Ich schwöre«, sagte sie eilig, neugierig, was jetzt kommen würde.
    Paul und Wilhelm drehten sich um, bückten sich und begannen, in das dichte Gebüsch zu kriechen, das für Erwachsene wohl wirklich

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