Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
Zwar bin ich nicht mehr nur fettundvierzig, aber vierundvierzig auch noch nicht.« Mit einem Blick auf die huschende Flora des Straßenrandes setzte er nachdenklich hinzu: »Übrigens möchte ich nicht wissen, was du sagen würdest, wenn ich diese diffizile Operation hier im Wagen mit Schafgarbenstengeln betriebe. Man braucht dazu neunundvierzig, aus denen man dauernd kleine Haufen machen muß.«
    »Mach bitte keine Haufen, Dickerchen. Es ist zwar dein Auto, aber ...« Sie rümpfte die Nase.
    Baltasar warf wieder, und diesmal hatte er Glück. Er sortierte die Münzen und malte etwas auf einen Zettel. Dann knurrte er: »Und zum letzten Mal.« Ariane wartete, bis er zum Werfen angesetzt hatte, dann nahm sie jäh den Fuß vom Gaspedal.
    »Entschuldige bitte«, sagte sie scheinheilig, während Baltasar seine Hand unter den Sitz steckte, wo er mindestens eine Münze vermutete. »Ich bin da wohl abgerutscht. – Bestimmt sind drei Münzen besser als neunundvierzig Schafgarbenstengel, aber wozu das Ganze überhaupt?«
    Matzbach setzte sich wieder zurecht. Schnell warf er die aufgesammelten Münzen abermals, fing sie mit dem Buch auf, addierte und notierte die letzte Linie.
    »Dies hier«, sagte er, wobei er das Buch emporhielt, »ist das alte chinesische Weisheits- und Orakelbuch
I Ging
. Zweisprachige Engländer, die des Deutschen mächtig sind, nennen es bisweilen auch
I Went
. Snobs wie ich, die sich auf ihre nichtvorhandenen Chinesischkenntnisse etwas einbilden, sagen
I Dsching

    »Sehr interessant. Und weiter?«
    »Angeblich hat ein Kaiser der Vorzeit herausgefunden, daß die Heiligen Schildkröten auf ihrem Panzer verschiedene ganze und geteilte Linien haben, aus denen sich die Zukunft lesen läßt. Angeblich hat Konfuzius die ganze Chose in der heute bekannten Form schriftlich niedergelegt. Das Ding besteht aus vierundsechzig Hexagrammen.«
    »Was für Hexen?«
    »O ob der Unbildung des gemeinen abendländischen Weibchens. Hexagramme. Bild- oder Schriftzeichen aus sechs Teilen. Es sind die vierundsechzig möglichen Kombinationen aus jeweils sechs unterbrochenen und/oder durchgezogenen Linien. So etwa.« Er hielt das Blatt hoch, auf dem er gemalt hatte.

    war dort zu lesen. Ariane, mit dem Verkehr nicht überbeschäftigt, nahm es zur Kenntnis.
    »Aha. Und was willst du damit?«
    »Langsam. Also, diese vierundsechzig zusammengesetzten Zeichen bestehen wieder aus einzelnen Unterzeichen und so weiter. Jede Linie hat bestimmte Bedeutungen, je nachdem, in welcher Zusammenstellung sie auftaucht. Leibniz, nicht der mit den Keksen, war der Meinung, es handle sich um ein binäres Zahlensystem.«
    »Du nimmst doch sonst zum Rechnen deine Finger.«
    »Pah. Außerdem gibt es Linien, die sich aus unterbrochenen in durchgezogene verwandeln können und umgekehrt. Es gibt also viel mehr als nur vierundsechzig Möglichkeiten. In diesen Zeichen stecken alle alten chinesischen Ratschläge für den Beginn einer Unternehmung. Das ist kein Orakel, das auf die Frage ›Was wird sein?‹ antwortet. Es antwortete auf die Frage ›Was soll ich tun?‹«
    »Und was soll ich tun?«
    »Den Mund halten und zuhören. Dieses Zeichen, das ich durch mehrfaches Werfen alter chinesischer Münzen trotz deiner komischen Fahrerei habe ermitteln können, ist, Moment ...«
    Er schlug das Buch auf, blätterte eine Weile. Dann:
    »Hah, Nummer sechsundvierzig. Schong.«
    »Schöng.«
    »Willst du wohl ... Übrigens ist das von unten nach oben zu lesen.«
    »Wie liest man Schong von unten nach oben?«
    »Das Zeichen, o zaubriges Weib, nicht das Wort.«
    Ariane lachte. Baltasar blickte sie von der Seite an, grinsend. Die beginnende Versilberung ihres kurzen Blondhaars und die durch das Lachen animierten Fältchen erhöhten, wie er gelegentlich behauptet hatte, Arianes antiquarischen Wert.
    »Und was ist nun mit Schong von unten?«
    Baltasar hielt das Buch hoch und las deklamierend:
    »›Schong. Das Empordringen. Das Empordringen hat erhabenes Gelingen.‹ Das heißt: Etwas Weiches und Natürliches, etwa Holz, wächst unaufhaltsam empor. Verschluck deinen Kommentar; der Wagen ist mir zu eng.«
    Ariane grinste und sagte nichts.
    »Weiter. ›Man muß den großen Mann sehen.‹ Ahem. Ich denke, das bezieht sich zunächst einmal auf mich. Vielleicht aber auch auf jemanden, dem wir im Lauf unseres Unterfangens begegnen werden. Was mich ein wenig stutzig macht, ist die Auslegung im Buch, die sagt, die Ursache des Gelingens, die wohl mit dem großen Mann

Weitere Kostenlose Bücher