Das Doppelgrab in der Provence
in den Spiegel zu schauen brauchst.«
»Ah bah. Daß ich ihn nicht mehr suchen muß. Weil ich ihn gefunden habe!«
»Interessant. Also du bist sicher, daß es sich bei deiner Neigung zu diesem Buch nicht um Aberglauben handelt?«
Baltasar machte glucksende Geräusche mit dem Kehlkopf. »Natürlich. Vergiß nicht, ich habe Urlaub, auch vom abendländischen Rationalismus. Ich weiß nicht, ob je ein Verbrechen mit Hilfe des
I Ging
, eines karthagischen Testaments und der Nichterwähnung druidischer Heiligtümer aufgeklärt worden ist, aber irgendwann passiert eben alles zum ersten Mal.«
»Bitte?!«
»Danke, keine Ursache. Also, ich brauche den großen Mann nicht mehr zu suchen, ich habe ihn gesehen. Aber wer ist es? Doktor Herbin? Edmund Demlixh? Der Archäologist Corvau? Oder Maharbal, dem ich heute ins Antlitz geschaut habe?«
Ariane gähnte herzzerreißend. »Viel Vergnügen, aber ich wäre dir dankbar, wenn du deine Meditationen über Männerantlitze leise vollziehen könntest. Und bitte nimm die Hände unter dem Kopf weg. Wenn du in dieser Position einschläfst, ist das schlimmste Schnarchen sicher.«
»Du verstehst mich nicht«, sagte Baltasar düster. »Niemand versteht mich. Es hat mich auch keiner richtig lieb. Alle spotten meiner. Ach, es ist widerlich.«
Mit dieser optimistischen Zusammenfassung schaltete er das Licht aus und drehte sich auf die Seite. Sekunden später begann er zu schnarchen. Ariane zog sich die Decke über die Ohren.
9. Kapitel
Nach dem Frühstück verfaßte Baltasar eine dirigierende Nachricht für Césaire Maspoli, mit dessen Eintreffen er selbstsicher rechnete. Er hinterließ die Anweisungen in einem verschlossenen Umschlag an der Rezeption des Hotels und erkundigte sich dort, ob das Etablissement über eine entleihbare Schreibmaschine verfüge. Es verfügte.
Ariane übernahm die Kontrolle des Gefährts und steuerte die Pallas Richtung Autobahn, während Baltasar murrend, knurrend und schnurrend auf dem Beifahrersitz hockte, wie eine Lokomotive qualmte und Dreiecke auf provençalische Detailkarten malte.
Nach ungefähr siebzig Minuten hatten sie den Flughafen Marseille-Marignane erreicht. Baltasar faltete nacheinander ein Dutzend Karten zusammen und stieg wortlos aus. Ariane verschloß den Wagen und folgte gehorsam, als der Dicke ihr winkte und mit einem seiner Finger auf die Cafeteria deutete.
Bei einem großen Café Crème setzte er ihr auseinander, was er – mit Hilfe, wie er sagte, chinesischer Schweine und Fische – auf den Landkarten ermittelt zu haben glaubte. »Ich müßte diesen Archäologen fragen, wo genau das Testament gefunden wurde, aber ich bin sicher, daß es da war.« Er deutete auf einen Punkt nahe Brignoles, nördlich der Provence-Autobahn. Ariane ließ sich von ihm Feuer für ihren Zigarillo geben.
»Wie aufmerksam«, sagte sie. »Also, ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, mein Herr – diese Rechnerei mit Dreiecken und Senkrechten ist mir erstens zu wild, und zweitens überzeugt mich das noch gar nicht. Was ist mit Wasser und Bergen?«
Baltasar steckte die Karten in seine ausufernde Jackentasche. »Das hoffe ich auf diesem Flug zu erfahren.«
Ariane teilte ihm ihr Unverständnis mit. Baltasar winkte ab. »Es hat keinen Sinn, das theoretisch zu erörtern.«
Sie begaben sich auf den langen Marsch zum Büro der privaten Fluggesellschaft, mit der William Bronner laut Quittung einen Rundflug über die Provence gemacht hatte. Der Pilot erwartete sie bereits: Ein hochgewachsener, blonder Nordfranzose, der nach einigen Jahren bei der französischen Luftwaffe nicht mehr vom Fliegen losgekommen war. Er schüttelte zunächst Arianes, dann Matzbachs Hand und klopfte auf eine blaugebundene Kladde.
»Wie Sie am Telefon gesagt haben, Monsieur, habe ich alles vorbereitet. Wir können die gleiche Strecke abfliegen, die Ihr Freund mit mir geflogen ist.«
Er erinnerte sich gut an Bronner; Einzelgäste, die das Geld für einen Rundflug hinlegen, sind selten. Baltasar schob dem Piloten ein mitteldickes Päckchen 100-Francs-Noten über den Tisch.
Kurze Zeit später waren sie in der Luft. Der Pilot gab einige kurze Kommentare zur Landschaft und zu Bronners Sonderwünschen ab. Sie flogen über Les Baux hinweg, ließen Arles links liegen, überquerten die Rhône. Baltasar saß auf dem Platz, auf dem Bronner gesessen hatte, und er hoffte, daß er das gleiche sah wie weiland Bronner. Westlich von Nîmes gingen sie auf Süd-, dann gleich auf Ostkurs, überflogen
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