Das doppelte Lottchen
Diplomatische Gespräche – Väter müssen streng sein können – Ein Lied in c-Moll – Heiratspläne – Cobenzlgasse 43 – Fräulein Gerlach ist ganz Ohr – Hofrat Strobl ist recht besorgt – Der Kapellmeister streichelt eine Puppe
Lottchens Klavierkünste liegen brach. Ihre Schuld ist es nicht.
Aber der Vater hat neuerdings nicht mehr viel Zeit fürs
Stundengeben übrig. Vielleicht hängt es mit der Arbeit an der
Kinderoper zusammen? Das ist schon möglich. Oder? Nun, kleine
Mädchen spüren, wenn etwas nicht stimmt. Wenn Väter von
Kinderopern reden und über Fräulein Gerlach schweigen – sie
wittern wie kleine Tiere, woher Gefahr droht.
Lotte tritt, in der Rotenturmstraße, aus der Wohnung und klingelt an der gegenüberliegenden Tür. Dahinter haust ein Maler namens
Gabele, ein netter, freundlicher Herr, der Lotte gern einmal zeichnen möchte, wenn sie Zeit hat.
Herr Gabele öffnet. »Oh, die Luise!«
»Heute hab’ ich Zeit«, sagt sie.
»Einen Augenblick«, ruft er, rast in sein Arbeitszimmer, nimmt
ein großes Tuch vom Sofa und verhängt damit ein auf der Staffelei stehendes Bild. Er malt gerade an einer klassischen Szene aus der Antike. Dergleichen eignet sich nicht immer für Kinder.
Dann führt er die Kleine hinein, setzt sie in einen Sessel, nimmt einen Block und beginnt zu skizzieren. »Du spielst ja gar nicht mehr so oft Klavier!« meint er dabei.
»Hat es Sie sehr gestört?«
»Kein Gedanke! Im Gegenteil! Es fehlt mir geradezu!«
»Vati hat nicht mehr so viel Zeit«, sagt sie ernst. »Er komponiert an einer Oper. Es wird eine Kinderoper.«
Das freut Herrn Gabele zu hören. Dann wird er ärgerlich. »Diese Fenster!« schimpft er. »Rein gar nix kann man sehen. Ein Atelier müßte man haben!«
»Warum mieten Sie sich denn keines, Herr Gabele?«
»Weil’s keine zu mieten gibt! Ateliers sind selten!«
Nach einer Pause sagt das Kind: »Vati hat ein Atelier. Mit großen Fenstern. Und Licht von oben.«
Herr Gabele brummt.
»Am Kärntner Ring«, ergänzt Lotte. Und nach einer neuen
Pause: »Zum Komponieren braucht man doch gar nicht so viel Licht wie zum Malen, nicht?«
»Nein«, antwortet Herr Gabele.
Lotte tastet sich nun noch einen Schritt weiter vor. Sie sagt
nachdenklich: »Eigentlich könnte doch Vati mit Ihnen tauschen!
Dann hätten Sie größere Fenster und mehr Licht zum Malen. Und
Vati hätte seine Wohnung zum Komponieren hier, gleich neben der anderen Wohnung!« Der Gedanke freut sie offensichtlich. »Wäre das nicht praktisch?«
Herr Gabele könnte allerlei gegen Lottes Gedankengänge
einwenden. Weil das aber nicht angeht, erklärt er lächelnd: »Das wäre in der Tat sehr praktisch. Es fragt sich nur, ob der Papa der gleichen Meinung ist.«
Lotte nickt. »Ich werd’ ihn fragen! Gleich nachher!«
Herr Palffy sitzt in seinem Atelier und hat Besuch.
Damenbesuch. Fräulein Irene Gerlach hat »zufällig« ganz in der
Nähe Besorgungen machen müssen, und da hat sie sich gedacht:
»Springst einmal g’schwind zum Ludwig hinauf, gelt?«
Der Ludwig hat die Partiturseiten, an denen er kritzelt, beiseite geschoben und plauscht mit der Irene. Erst ärgert er sich ein
Weilchen, denn er kann es für den Tod nicht leiden, wenn man ihn unangemeldet überfällt und bei der Arbeit stört. Aber allmählich siegt doch das Wohlbehagen, mit dieser so schönen Dame
beisammenzusitzen und halb aus Versehen ihre Hand zu streicheln.
Irene Gerlach weiß, was sie will. Sie will Herrn Palffy heiraten.
Er ist berühmt. Er gefällt ihr. Sie gefällt ihm. Allzu große
Schwierigkeiten stehen also nicht im Wege. Zwar weiß er noch
nichts von seinem künftigen Glück. Aber sie wird es ihm mit der Zeit und schonend beibringen. Schließlich wird er sich einbilden, daß er selber auf die Idee mit der Heirat verfallen sei.
Ein Hindernis ist allerdings noch da: das narrische Kind! Aber wenn Irene dem Ludwig erst ein, zwei Babys geschenkt hat, dann
wird sich alles wunschgemäß einrenken. Irene Gerlach wird doch
wohl noch mit diesem ernsten, scheuen Fratz fertig werden!
Es klingelt.
Ludwig öffnet.
Und wer steht in der Tür? Der ernste, scheue Fratz! Hat einen
Strauß in der Hand, knickst und sagt: »Grüß Gott, Vati! Ich bring’
dir frische Blumen!« Dann spaziert sie ins Atelier, knickst kurz vor dem Besuch, nimmt eine Vase und verschwindet in der Küche.
Irene lächelt maliziös. »Wenn man dich und deine Tochter sieht, hat man den Eindruck, daß du unter dem Pantoffel
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