Das Dorf der Katzen
Staubwolke.
Wie die acht anderen vor ihm auch.
„Vera! Vera!“
Atemlos kam Ioannis den Hang hoch gestürzt. Er ließ das Gewehr fallen und rannte auf sie zu.
Mühsam stand sie auf und stützte sich zitternd am Jeep ab. Ioannis schloss sie in seine Arme.
„Vera!“ Er strich ihr über das Haar.
„Alles in Ordnung, geht es dir gut?“
Er schaute sie an. Sein Gesicht war staubig, Bahnen von Schweiß glänzten darin. Wahrscheinlich sah sie nicht viel besser aus, nur dass sich bei ihr nun auch Tränen ihren Weg durch den Schmutz bahnten.
„Sag doch was! Bist du verletzt?“
Sie schüttelte stumm den Kopf.
Dann holte sie aus und gab Ioannis eine Ohrfeige, die wie ein letzter Schuss durch die Nacht hallte.
„Ioannis Kostanidis! Ich glaube, spätestens jetzt ist eine Erklärung fällig! Und angesichts dessen, was hier soeben passiert ist, sollte es eine verdammt gute Erklärung sein!“, fauchte sie ihn an.
„Was geht hier vor? Was waren das für Höllenwesen? Und woher kommen bitteschön die da plötzlich?“
Sie deutete auf die vier Katzen, die regungslos da saßen und die Szene, die sie Ioannis soeben machte, offensichtlich interessiert verfolgten.
Ioannis rieb sich die Backe.
Vera hatte ihr ganzes Entsetzen über das Geschehene und auch ihre Wut, ihre unterdrückten Fluchtreflexe und ihre Erleichterung in den Schlag gelegt. Mit rechts. Ihr Wurfarm beim Handball.
Er schaute verlegen zu Boden.
„Du hast ja recht, kali mou“, sagte er.
Zu seinem Glück verstand Vera nicht, was er soeben zu ihr gesagt hatte. Es wäre sonst durchaus möglich gewesen, dass sie noch mal mit ihrem Wurfarm ausgeholt hätte.
„Mein Liebes“ wäre jetzt und in dieser Situation mit Sicherheit nicht gut bei ihr angekommen.
So schaute sie ihn nur an und wartete auf eine Antwort.
„Komm mit ins Dorf, nach Choriogatos“, sagte er schließlich leise. „Das ist eine lange Geschichte, und ich fürchte, du wirst mir nichts glauben!“
„Nach dem, was ich soeben erlebt habe, bin ich in der Lage, mir Einiges anzuhören und vielleicht auch bereit zu glauben! Recht viel schlimmer kann es wohl nicht mehr kommen, oder?“
Er schaute sie wie ein ertappter Schuljunge an.
Vera schüttelte den Kopf. OK, sie war einerseits wütend auf diesen jungen Griechen, dem sie die ungeheuerlichste Geschichte zu verdanken hatte, die man sich nur vorstellen konnte und in der sie beinahe ihr Leben gelassen hatte, aber andererseits: seine charmante, zurückhaltende und auch etwas unbeholfene Art, wie er sie vor wenigen Stunden beim Abendessen angeflirtet hatte und dann seine Blicke, als sie nur in das Laken gehüllt vor ihm stand. Und wie er sie vorhin in die Arme genommen hatte. Seine um Vergebung bittenden Augen, mit denen er sie nun ansah!
Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. Sie seufzte.
„Vera-Mädchen“, sagte sie zu sich selbst. „Pass auf, die Symptome kennen wir. Das ist deutlich jenseits des Flirt-Levels. Du bist dabei, dich ernsthaft zu verlieben!“
Sie lächelte schwach.
„Gut, gehen wir! Und was ist mit denen da?“ Sie zeigte wieder auf das Katzenquartett. „Sind die in deinen Erklärungen auch enthalten? Immerhin verdanke ich ihnen mein Leben.“
Ioannis sah sie ernst an.
„Ja, sie sind auch enthalten. Du bekommst alles erklärt. Aber ich warne dich. Das, was soeben alles passiert ist, ist nur ein kleiner Teil einer großen Geschichte. Ein Vorgeplänkel. Mach dich auf das Unglaublichste und noch mehr gefasst. Wenn du jetzt mit mir ins Dorf kommst, wirst du Teil dieser großen Geschichte. Für immer. Du könntest jetzt noch umkehren. Bleibst du bei mir, ist es zu spät. Dann wird dein Leben von jetzt an bis zum Ende in ganz anderen Bahnen verlaufen!“
Sie blickte ihn an.
Da war kein Spott in seinem Gesicht, nur tiefer Ernst und Besorgnis.
Sie fühlte, wie sehr sie sich mittlerweile zu diesem jungen Mann und dem Geheimnis, das ihn zu umgeben schien, hingezogen fühlte. Langsam hob sie die Hand. Ioannis zuckte zurück.
„Keine Angst“, sagte sie lächelnd. „Ich schlage selten zweimal zu. Ja, ich komme mit, aber du musst mir versprechen, dass du mich in Zukunft nicht mehr allein irgendwo an dein Auto gelehnt zurücklässt, um Monster zu bekämpfen. Wenn schon, dann will ich dabei sein, an deiner Seite!“
Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Streichelte sie gerade wirklich mit derselben Hand, die zuvor kräftig zugeschlagen hatte, diese vom Schlag noch heiße Stelle auf seiner Backe?
„Vera Kremser,
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