Das Dorf der Mörder
demonstrativ vor Cara. »Verlassen Sie sofort das Haus.«
Der Mann trat einen Schritt zurück und verbarg sein Hinken dabei geschickt.
»Warum hast du Bruno umgebracht?« Cara schob Jeremy zur Seite. Das gefiel ihm nicht. Er hielt die Situation für nicht berechenbar. »Sag es mir. Warum?«
»Er war alt.« Der merkwürdige Besucher holte ein Messer aus der Spüle, betrachtete es und legte es wieder zurück. »Das macht man so.«
»Das macht man nicht so!«, schrie Cara. Sie wollte sich auf ihn stürzen, aber Jeremy riss sie zurück.
»Er war genauso wie die anderen, stimmt’s?« Ihre Augen wurden klein, sie ballte ihr Fäuste. »Es ist hierhergerannt, weil er wusste, dass etwas Schlimmes passiert. Wen wollte er beschützen? Was hast du getan?«
»Blödsinn.«
Jeremy hielt ihren Arm immer noch umklammert. »Lass uns gehen«, sagte er leise.
»Nein! Ich …« Sie schüttelte ihn wütend ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »… ich erinnere mich. Bruno … er kam immer nach oben, wenn …«
»Wenn was?«, fragte der Mann. Seine Augen funkelten gefährlich. »Tu, was er sagt, Cara. Ich gebe dir den guten Rat, geh und komm nie wieder.«
»Ich muss mich aber erinnern!«
»Und dann?«
»Dann werde ich der Polizei melden, was hier wirklich passiert ist.«
Keine Polizei!, wollte Jeremy rufen. Doch es war zu spät.
»Ach Cara.« Der Mann umrundete den Tisch und ging mit einem entschuldigenden Lächeln auf sie zu. »Dann werde ich deinen Erinnerungen mal auf die Sprünge helfen.«
Jeremy erkannte den Angriff zu spät. Er kam so plötzlich, so schnell und so überraschend, dass er nur noch die Bewegung sah, ohne sie deuten zu können. Die Faust traf ihn mitten ins Gesicht.
37
K riminalhauptkommissar Lutz Gehring schoss mit hundertzwanzig Stundenkilometern über die Stadtautobahn und war drauf und dran, auch noch das Blaulicht aufs Dach zu klemmen. Während er versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, schweiften seine Gedanken ständig ab und wirbelten alle Informationen, die im Laufe dieses so unschuldig begonnenen Tages bei ihm aufgelaufen waren, durcheinander. Außerdem bombardierten ihn Zweifel, ob das, was er tat, richtig war und nicht doch eine überstürzte Kurzschlusshandlung. Spätestens an dieser Stelle warf er einen Bremsklotz unter das Karussell in seinem Kopf. Er hatte noch nie etwas überstürzt.
Dann bemühte er sich von vorne, all das zu rekapitulieren, was ihm in seinem Büro kurze Zeit vorher so klar und eindeutig erschienen war.
Denn vor zwei Stunden hatte sich etwas herauskristallisiert, womit niemand, wahrscheinlich noch nicht einmal Sanela Beara selbst, gerechnet hatte: Er hatte begonnen, sich mit dem Gedanken anzufreunden, wirklich tätig zu werden. Und zwar so schnell wie möglich. Genauer gesagt auf der Stelle. Ohne Rückendeckung durch seinen Dienstherrn oder den Staatsanwalt. Darum kümmerte sich mittlerweile Frau Schwab. Es war Gefahr im Verzug, und Gehring, der schon eine Menge erlebt hatte in seiner Laufbahn, war sich der Bedeutung dieser Worte noch nie so bewusst geworden wie in diesem Moment halsbrecherischer Raserei Richtung Süden.
Angefangen hatte es mit Tomislav Bearas Besuch und geendet mit einem Durcheinander aus Notizzetteln, Computerausdrucken und Telefonprotokollen – die sich dank Schwabs Recherche von Verdachtsmomenten schlagartig in Indizien verwandelt hatten. Er konnte die Augen nicht länger davor verschließen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob andere das genauso sahen. Vielleicht irrten sie sich, er und die Schwab, und sie machten sich in der Sedanstraße zum Witz des Jahrhunderts.
Stopp. Er wollte nicht weiter denken als von seinem Lenkrad bis zur nächsten Stoßstange. Das alles hatte Zeit. Zeit bis Wendisch Bruch. Noch einmal griff er zu seinem Handy und versuchte eine Bluetooth-Verbindung zu Beara, vergeblich.
»Wenn ich dich erwische …«, murmelte er und startete einen weiteren riskanten Überholvorgang.
Aber sie rief auch nicht zurück. Sie war und blieb verschwunden. Und langsam verwandelte sie sich in seiner Wahrnehmung. Von einer karriere- und detailbesessenen, im Grunde genommen ganz und gar unsympathischen Person in jemanden, um den er sich Sorgen machte. Sie wurde zu einem Menschen, der sich auf ihn verlassen hatte.
Er wusste nicht, was er machen würde, wenn er sie zwischen die Finger bekäme. Aber das hatte Zeit. Beara musste gefunden werden. So schnell wie möglich. Und dann die anderen Opfer eines so unfassbaren
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