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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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war da wenig Beruhigendes für Sie in diesem Hundegebell.«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »Haben Sie Hunde?«
    »Nein. In der Stadt ist das nicht möglich. Tiere haben nichts in Wohnungen zu suchen. Und in den Zoo und den Tierpark dürfen sie nur mit kurzer Leine. Ich hätte gerne einen gehabt, aber das ging nicht.«
    »Als Kind, auf dem Land …« Er suchte in den Protokollen nach Rubins Lebenslauf. »Sie kommen aus dem Dorf Wendisch Bruch. Wo genau liegt das?«
    »Im Landkreis Teltow-Fläming. In der Nähe von Jüterbog.« Eine ungefähre Ahnung sagte Jeremy, dass es sich um den Süden Brandenburgs handeln musste.
    »Aber da hatten Sie Hunde?«
    »Ja. Akra und Kerl.«
    »Kerl?«
    Sie nickte. Jeremy wunderte sich über den Namen.
    »Ihre Eltern, Margot und Henning Rubin, waren beide in der Landwirtschaft.«
    »In der LPG Buschwiesen.«
    »Hier steht, sie hatten einen Bauernhof.«
    »Erst später. Nach der Wende. Vorher haben wir nur das Haus bewohnt und privat ein bisschen was angebaut. Wir hatten Hühner, Kartoffeln und etwas Spargel. Schwarz. Viel mehr ist auch nicht dazugekommen. Als es ums Verteilen ging, waren die wieder ganz weit vorne, die auch in der DDR das Sagen hatten. Wie immer.«
    »Gestern haben Sie erwähnt, wie lange Sie schon in Berlin wohnen. Aus meinen Unterlagen geht hervor, dass Sie mit fünfzehn in Dessau eine Lehre zur Tierpflegerin begonnen haben.«
    »Ja.«
    »Aber nach drei Monaten haben Sie sie abgebrochen und sind nach Berlin. Warum?«
    »Dessau war mir zu klein. Ich wollte lieber in eine richtige Stadt.«
    »Dann haben Sie als Gärtnereigehilfin gearbeitet, in der Baumschule Wilhelm in Johannisthal.«
    »Ja. Stauden. Das war mein Schwerpunkt.«
    »Stauden statt Tiere?«
    Sie sah wieder auf ihre Hände. »Ist schwer was zu machen ohne Abitur oder mittlere Reife.«
    Sie hatte die Hauptschule nach der neunten Klasse ohne Abschluss verlassen. Merkwürdig bei einem so belesenen Menschen.
    »Trotzdem ist das sehr jung für eine Großstadt. Fünfzehn.«
    Sie wandte den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen. Dabei bemerkte sie Brock. Ihr Gesicht verschloss sich.
    Der Professor hielt diesen Moment für geeignet, sich wieder in das Gespräch einzuschalten. Er stand auf und kam zu ihnen an den Tisch. Rubin schlug die Beine übereinander. Sie tat das so, dass sie sich dabei, bewusst oder unbewusst, von Brock abwendete.
    »Wie kamen Sie in die Futtertierzucht?«, fragte er. »Haben Sie sich beworben?«
    Sie schwieg. Nach einer Ewigkeit, in der Jeremy zu der Überzeugung kam, dass sie ihre Boykotthaltung gegen Brock aufrechterhalten würde, antwortete sie. Es klang mechanisch und gestelzt.
    »In der Baumschule hätten sie mich nicht übernommen. Ich fing im Tierpark als Aushilfe in der Futterverteilung an. Später wurde ich auch in der Tierpflege eingesetzt. Allerdings war ich im Umgang mit den Besuchern nicht geübt. Man entschied, mich aus dem Publikumsbereich in den Wirtschaftshof zu versetzen.«
    »Was heißt nicht geübt?«
    »Ich wies die Besucher unmissverständlich darauf hin, dass sie die Tiere nicht zu füttern oder zu verarschen haben.«
    Brock und Jeremy wechselten einen schnellen Blick. Der Recorder lief. Der junge Arzt machte sich Notizen.
    »Machte Sie das wütend?«
    Rubin nickte. »Wer Achtung vor einer Kreatur hat, füttert sie nicht mit Schokocroissants oder wirft mit Steinen nach ihr.«
    »Was war für Sie unmissverständlich?«
    »Tierparkverweis.«
    Jeremy konnte sich vorstellen, dass ihre rüde Art nicht gerade das war, was die Tierparkleitung schätzte. Und dann kam ihm eine Idee. »Hat Werner Leyendecker sich vielleicht auch über die Tiere lustig gemacht?«
    Sie sah Jeremy erstaunt an.
    »Werner Leyendecker. Ihr Opfer. Der Mann, den Sie ermordet haben.«
    Vierundsechzig Jahre alt. Zwei Mal geschieden, zwei Kinder. Gelernter Werkzeugmacher, nach der Wende Vertreter für Landmaschinen, dann Frührentner. Wohnhaft in Wismar. Touristischer Besuch in Berlin. Ankunft nachmittags am Hauptbahnhof, Weiterfahrt zum Alexanderplatz, eingecheckt im Park Inn Hotel um Viertel vor sechs. Ein Zimmer im elften Stock, Blick auf die achtspurige Mollstraße. Besuch der Revue »Songbirds« im Friedrichstadtpalast. Zwei Drinks an der Hotelbar. Allein. Am nächsten Tag Kauf einer Prinz-Heinrich-Mütze im KaDeWe. Stadtrundfahrt. Treffen Unter den Linden mit einer Frau, die er übers Internet kennengelernt hatte. Helga Grothe, zehn Jahre jünger, Versicherungskauffrau in Teilzeit. Sie hatte sich

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