Das Dorf der Mörder
diese Mörderin aus dem Berliner Tierpark. Charlotte Rubin. Kannten Sie sie?«
»Sind Sie deshalb hier?« Walburga schob die Kasserolle zurück in den Ofen. »Wenn ja, da ist die Tür.«
»Nein! Natürlich nicht! Aber die Sache war wochenlang in den Medien und hat, glaube ich, jeden irgendwie berührt. Ich fände es viel merkwürdiger, hier zu sein und es nicht anzusprechen.«
»Sind Sie von der Presse?«
Sanela berührte das kleine goldene Kreuz, das sie um ihren Hals trug und das sie nur ablegte, wenn sie Dienst hatte. »Ich schwöre Ihnen bei der Heiligen Mutter Maria, dass ich keine Journalistin bin.«
»Katholisch?«
»Ja.«
»Dann nehmen Sie wohl ernst, was Sie sagen.«
»So wahr ich hier stehe.« Frag jetzt bloß nicht, ob ich bei der Polizei bin, dachte sie. Dann hätte ich ein echtes Problem mit dem heiligen Donatus.
»Schon gut. Man wird misstrauisch. Wenn die plötzlich mit ihren Kameras im Garten stehen und gar nicht erst um Erlaubnis fragen … ja, ein paar waren hier. Die sind aber schnell wieder weg, als sie gesehen haben, dass hier nichts zu holen ist.«
»Trotzdem muss es doch eine ziemliche Aufregung gewesen sein. Also wenn das in meinem Dorf passiert wäre …«
»Hier ist nichts passiert.«
»Klar, natürlich nicht. Aber sie kam doch von hier, oder?«
»Wie man’s nimmt. Die Rubins waren Zugereiste. Sie haben nie richtig zu Wendisch Bruch gehört. Das war hier mal was ganz anderes. So was für die Bessergestellten der LPG . Funktionäre. – Wir nicht, nee …«, beeilte sie sich zu erklären. »Wir betreiben die Linde schon seit Generationen. Auch wenn sie zu DDR -Zeiten die HO -Gaststätte Buschwiesen war. Aber nach der Wende ging alles den Bach runter, und an Land gespült wurden Leute wie die Rubins. Sie lebten draußen auf dem Aussiedlerhof, den haben Sie vielleicht gesehen, als Sie hereingefahren sind.«
»Gleich an dem schiefen Ortsschild?«
»Ja. Wir hatten wenig Kontakt zu ihnen und sie kaum welchen zu uns.«
Ein bisschen schwierig in so einem kleinen Dorf, dachte Sanela. Da kann man sich doch eigentlich nicht aus dem Weg gehen.
»Vielleicht lag es daran«, spekulierte sie und begann, die Kugeln flachzudrücken und mit den gerösteten Pflaumen zu füllen. Walburga fettete währenddessen eine flache Auflaufform ein. »Außenseiter haben es schwer.«
»Es lag nicht an uns. Wir hatten immerhin mal so etwas wie ein funktionierendes Gemeindewesen. Im Dorfgemeinschaftshaus gab es sogar eine Kegelbahn. Glauben Sie mir, in so einem Kaff ist man um jeden froh, den es hierher verschlägt. Da muss man sich als Zugereister wirklich Mühe geben, um nicht dazuzugehören. Aber irgendwie waren sie seltsam, wollten keinen Kontakt. Jedenfalls nicht zu mir oder den anderen Frauen.«
Aha. Es schien wunde Punkte zu geben.
»Und zu den Männern?«
Walburga trank einen Schluck Wein. »Es gab Gerüchte. Aber um die schere ich mich nicht. Sie haben hier genau zwei Möglichkeiten: Entweder machen Sie alles mit oder nichts. Und alles war mir einfach zu anstrengend.«
»Also sind Sie auch so etwas wie eine Außenseiterin.«
»Nein. Nicht mehr. Ab einer Einwohnerzahl unter zehn gibt sich das.«
Sanela lächelte in sich hinein. Walburga hatte einen Humor, der ihr gefiel. Bruno kam in die Küche. Sein Frauchen stellte ihm eine Schüssel Wasser hin, die er halb ausschlürfte und den Rest auf dem Boden verteilte. Anschließend wagte er auch noch, sich zu schütteln. Sie war froh, dass sie trotz der Hitze eine lange Hose trug.
»Ich mache jetzt Ihr Zimmer.«
Sanela legte die letzte gefüllte Buchtel in die Auflaufform und wusch sich die Hände.
»Ich helfe Ihnen.«
»Nein. Ich sagte ja schon: Es ist fast so, als ob man wieder Gäste hätte.«
Auch gut, dachte sie, nahm die Schürze ab und ging zurück in den Garten, der mittlerweile im Schatten lag. Die Hitze hatte etwas nachgelassen. Bruno trottete hinter ihr her. Vielleicht war er genauso froh über die Abwechslung. Viel zu tun hatte er hier wohl nicht. Sie setzte sich auf die alte Holzbank, die an der Hauswand stand, und der Monsterhund ließ sich mit einem gewaltigen Seufzen vor ihr auf den Boden fallen.
Sie hörte, wie Walburga im Haus hantierte. Einen Moment war sie versucht, Gehring anzurufen. Aber was hätte sie ihm sagen sollen? Sie wusste noch nicht einmal, ob er ihren Hinweis auf eine zweite Person im Mordfall Leyendecker ernst genommen hatte. Natürlich hatte sie mit ihrem Besuch in Rubins Haus eine Grenze überschritten. Genauso
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