Das Dorf der Mörder
Beara!«
»Das kann doch kein Zufall sein! Sie müssen mit diesem Professor reden. Er muss bei Rubin etwas ausgelöst haben, das er selbst vielleicht noch gar nicht weiß oder nicht geahnt hat. Sie war drei Monate im Knast, und da hätte sie sich jederzeit einen Strick drehen können. Das wissen doch alle! Warum hat mir denn keiner gesagt, dass sie es schon mal probiert hat?«
»Weil! Sie! Nicht! Mit! Den! Ermittlungen! Beauftragt! Sind!«
»Okay. Okay! Ich hab’s ja verstanden.« Sie kippte die restliche Milch in den Becher, der daraufhin beinahe überschwappte. Sie musste sich zusammenreißen. Gehring war der Einzige, der ihr helfen konnte. Und leider auch in Personalunion derselbe Mann, der nichts lieber täte, als sie zu stoppen. »Ich verstehe Ihren Ärger. Aber …«
»Das glaube ich nicht! Wissen Sie eigentlich, dass Sie mich in Teufels Küche bringen, wenn ich Ihre Alleingänge decke?«
»Dann führen Sie die Untersuchung doch einfach weiter. Die Hinweise sind doch nicht mehr zu übersehen.«
»Und was soll ich der Staatsanwaltschaft zur Begründung sagen? Dass Charlotte Rubin, eine Frau im fortpflanzungsfähigen Alter, Besuch hatte, dem sie anschließend einen Kaffee angeboten hat? Und dass es im Brandenburgischen Dörfer gibt, die langsam aussterben?«
»Es war ein Mann? Ja? Sie hatte Männerbesuch?«
Gehring schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Das Geräusch ließ Sanela zusammenzucken. Meine Güte, musste er wütend sein.
»Ja«, knirschte er. »Ich habe die Kollegen nochmal hinge schickt. Wir haben Fingerabdrücke gefunden, die nicht zu Frau Rubin gehören. Im Abwasserrohr waren noch Reste von Rasierschaum und Haare. Haussmann wertet die DNA gerade aus. Er sagt, es handelt sich um Bartstoppeln eines Mannes. Nach allerersten Erkenntnissen nicht aktenkundig. Und? Was sagt Ihr berühmt-berüchtigtes Bauchgefühl?«
»Vielleicht war es einer von denen, die verschwunden sind?«
»Sie reden in Zungen. Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?«
Sanela hob vorsichtig den Becher und trank einen Schluck. »Wendisch Bruch ist verwaist. Es gab einen Exodus. Keine Männer, keine Kinder. Nur acht Frauen leben noch hier. Ich bin erst am Anfang. Aber ich vermute, dass alles vor langer Zeit mit dem Bäcker angefangen hat. Er ist in einem Trog mit Teig erstickt. Zwanzig Jahre später wird ein weiterer von Urwaldschweinen in der Futterraufe zu Tode gemetzelt. Es hat was mit Essen zu tun. Oder Fressen. Ich weiß, das hört sich ziemlich pervers an. Aber wir werden in diesem Job ab und zu gezwungen, auch pervers zu denken.«
»In Brotteig? Das ist ja widerlich.«
Er hört zu, schoss ihr durch den Kopf. Er hat gehört, was ich gesagt habe!
»Wenn Leyendecker schon einmal in Wendisch Bruch war, dann gibt es vielleicht eine Verbindung zu diesem Toten und …«
Sie brach ab. Die Haustür wurde geöffnet.
»Ich muss Schluss machen. Können Sie das für mich tun? Herausfinden, ob er schon mal in der Gegend war?«
»Moment.«
»Da kommt jemand«, flüsterte sie. »Hier weiß keiner, wer ich bin.«
Sie legte auf und fuhr herum. Walburga kam in die Küche. In der Hand hielt sie einen Hammer.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen«, antwortete Sanela und steckte ihr Handy zurück in ihre Tasche. Sie sah, dass ihr Dienstausweis aus dem Portemonnaie ragte. Als ob ihn jemand herausgezogen und hastig wieder zurückgesteckt hätte.
»Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen«, sagte Walburga. Sie war nicht mehr freundlich. Sie war eiskalt und wütend.
»Danke.« Sanela drehte sich zu ihr um. »Und Sie?«
»Gut. Man schläft doch irgendwie besser, wenn die Polizei im Haus ist.«
Gehring knallte den Hörer auf die Gabel und rieb sich die Schläfen. Was war es eigentlich, das ihn an dieser Kroatin so wütend machte? Jeder anderen hätte er mit einem kurzen Anruf beim Dienststellenleiter sofort das Handwerk gelegt. Lag es daran, dass in ihren kruden Alleingängen doch so etwas wie eine Systematik erkennbar war? Vor ihm lag die Akte Rubin mit dem Lebenslauf von Werner Leyendecker. Vertreter für Landmaschinen. Er googelte den Begriff, weil er sich darunter außer Traktoren nicht viel vorstellen konnte. Fütterungstechnik, Flurförderung, Bodenbearbeitung, Sä- und Erntemaschinen. Seine Hand schwebte über dem Telefon. Er konnte sich nicht entscheiden, in Wismar, Leyendeckers Heimatstadt, anzurufen. Wenn er es tat, würde er Beara glauben. Zu diesem Zugeständnis war er noch nicht bereit. Aber er schickte eine Email ans LKA
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