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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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auf die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit eine Antwort zu geben, falls das noch von Relevanz sein sollte.«
    »Darum geht es auch nicht.«
    Jeremy klappte den Deckel zu. »Um was dann? Was ermitteln Sie eigentlich noch?«
    Er dachte an Cara im Nebenzimmer und wurde ungeduldig.
    In diesem Moment öffnete Mieze die Tür und balancierte ein Tablett mit Kaffeekanne, Tassen, Zucker, Milch und Keksen.
    »Danke«, sagte er.
    Mieze stellte das Tablett ab. »Ich würde jetzt gehen. Ist das in Ordnung?«
    »Natürlich, Frau Katz. Wir sehen uns morgen.«
    Sie nickte dem Kommissar zu und verließ den Raum. Jeremy schenkte zwei Tassen Kaffee ein, er roch frisch gebrüht. Doch das Stillleben auf dem Tablett erinnerte ihn an die letzten, unbefangenen Momente mit Cara, bevor die Nachricht von Charlies Tod wie ein Fallbeil auf sie herabgestürzt war. Gehring gab Milch in seine Tasse, rührte um und trank einen Schluck.
    »Mich würde interessieren, ob es während der Sitzungen Auffälligkeiten gegeben hat.«
    Jeremy lehnte sich zurück und hob die Augenbrauen. Bevor er die Fingerspitzen aneinanderlegen konnte, fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass er damit die Pose seines Vaters nachahmen würde. Die Dozentenstellung. Das Imponiergehabe. Er räusperte sich und schob die Akte zur Seite, um seine Tasse auf die Schreibtischunterlage zu stellen.
    »Auffälligkeiten … in gewisser Weise sind sie bei uns die Normalität.«
    »Das kann ich mir denken. Aber ist etwas passiert? Etwas Unvorhergesehenes? Rubin hat doch hier in der Praxis schon einmal einen Suizidversuch unternommen. Gab es einen direkten Auslöser?«
    »Nein. Wir … okay, ich habe sie für einen Moment unbeaufsichtigt in Professor Brocks Zimmer warten lassen. Diese Gelegenheit hat sie genutzt. Ich will mich nicht herausreden, der Vorfall ereignete sich unter meiner Verantwortung. Aber ganz ungeschützt und unter vier Augen: Meiner Meinung nach bedurfte es keines Auslösers. Nur der Gelegenheit.«
    »Aber man entscheidet sich doch nicht spontan dafür, sich umzubringen.«
    »Nein. Meist fasst man diesen Entschluss schon viel früher.«
    »Wie viel früher?«
    Jeremy merkte, dass ihm die Fragen des Kommissars gefielen. Gehring beabsichtigte, etwas über Rubin herauszufinden und nicht nur Heftklammern einzusammeln. Er war versucht, dem Kommissar zu erzählen, was Cara ihm anvertraut hatte. Charlies endlose Kette von dilettantischen Selbstmordversuchen, die entweder von sich aus danebengingen oder die ihre kleine Schwester in letzter Sekunde verhindert hatte. Und dass sie, nachdem sich diese Teenager-Depression offenbar gelegt hatte, nach dem Mord an Leyendecker einen Rückfall gehabt hatte. – Und wir haben es nicht bemerkt, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht war das der Grund, weshalb er schwieg.
    »Sie müssten mit Professor Brock reden. Möglicherweise lag eine schwere Depression vor. Charlotte Rubin hat nicht geredet, weder über den Mord noch über das mentale Wiedererleben bestimmter Dinge. Dafür scheint sie Paramnesien und Symptome von Neurosen gehabt zu haben.«
    »Paramnesien?«
    »Gedächtnisstörungen. Deckerinnerungen. Scheinbar un wichtige Ereignisse, die sich über das tatsächlich Erlebte schieben und den Blick darauf verstellen. Ein Schutzmechanismus. Verdrängung.«
    »Haben Sie eine Idee, was sie verdrängt haben könnte?«
    »Nein.« Jeremy schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Es tut mir sehr leid, aber ich will keine Spekulationen in die Welt setzen, mit denen ich vielleicht völlig danebenliege. Der Professor schien eine Ahnung gehabt zu haben. Es war auch seine Idee, ihre Schwester herzuholen.«
    »Ihre Schwester?«
    »Cara Spornitz, eine Tierärztin aus Dessau.«
    Gehring runzelte die Stirn. Jeremy schlug noch einmal die Akte auf, dieses Mal an der Stelle, die Mieze mit einem grünen Post-it markiert hatte. Die Alibis im Untersuchungsbericht.
    »Sie war zur Tatzeit auf einem Kongress in München«, sagte er und überflog die Zeilen.
    Gehring erinnerte sich. Er zog ein Notizbuch heraus und schrieb sich etwas auf. Jeremy sah hoch.
    »Beide hatten über Jahre keinen Kontakt«, fuhr er fort. »Sie haben sich hier zum ersten Mal nach langer Zeit wiedergesehen.«
    »Könnte das der Auslöser gewesen sein?«
    Jeremy ließ die Akte zufallen. »Nein. Erst nach dem Vorfall hier in unserer Praxis kamen wir ja auf die Idee, Frau Spornitz zu kontaktieren.«
    Gehring sah auf seine Notizen. »Diese Paramnesien. Um was ging es da?«
    Um Rilke, hätte

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