Das Dorf der verschwundenen Kinder
leichter machte, war, daß das Verhörzimmer des Reviers das Nebenzimmer des »Book and Candle« (an das er mit großer Sehnsucht zurückdachte) wie die Albert Hall erscheinen ließ. Sein einziges Fenster ließ sich nicht öffnen (die Folge von Farbe und Rost, und nicht etwa Sicherheitsvorkehrungen), und selbst mit weit geöffneter Tür hätte man in der Hitze Pfannkuchen backen können.
Hoddle war ganz offensichtlich ein akribischer Mensch. Jede Stunde um dieselbe Zeit plädierte er für ein Ende des Verhörs, und jedesmal mit schärferen Argumenten. Dies war das dritte Mal.
»Mein Klient war überaus kooperativ, weit über das normale Maß an Gesittung hinaus, und zwar in jeder einzelnen ihrer grundlegenden Bedeutungen …«
Er hielt inne, wie um Dalziel zur Nachfrage einzuladen, doch der Dicke tat ihm diesen Gefallen nicht. Es gab Zeiten, vor der Einführung des obligatorischen Tonbandgeräts in Verhörzimmer, in denen er angeboten hätte, jeden einzelnen verdammten Zahn des Anwalts in seinen verdammten Hals zu rammen, wenn er nicht still wäre und seinen Klienten für sich selbst sprechen ließe. Das wäre zwar nicht besonders fair gewesen, da Turnbull einige Male gegen den Rat seines Anwalts auf Fragen geantwortet hatte, aber Dalziel fühlte sich nicht besonders fair, sondern nur besonders beschissen.
»… und da mir als vernünftigem Menschen bereits vor zwei Stunden klarwurde, daß er keinen Grund hat, Ihnen zu antworten, kann ich nur vermuten, daß selbst Sie, verehrter Superintendent, mittlerweile zu derselben Ansicht gelangt sind. Sie haben natürlich das Recht, ihn vierundzwanzig Stunden lang ab dem Zeitpunkt der Festnahme festzuhalten …«
»Und weitere zwölf, wenn ich es will«, warf Dalziel dazwischen.
»Sehr wohl. Aber geben Sie es zu, Superintendent, es besteht keine Aussicht, daß Sie meinen Klienten mit irgend etwas belangen können, also wird jeder Versuch, die Qualen unnötig zu verlängern, als Boshaftigkeit ausgelegt werden können und sicherlich jeder Anzeige wegen polizeilicher Schikane und fälschlicher Verhaftung Gewicht verleihen, die Mr. Turnbull möglicherweise bereits jetzt in Erwägung zieht.«
»Nein«, sagte Geordie Turnbull mit Nachdruck. »Nichts dergleichen. Wenn ich hier raus bin, werd ich froh sein, die nächsten fünfzehn Jahre nichts mehr mit der Polizei zu tun zu haben.«
Dalziel registrierte die Zeitspanne, versuchte sie als ein Geständnis zu interpretieren, daß Turnbulls Tötungsdrang abgeklungen war und erst in fünfzehn Jahren wieder erwachen würde, was ihm jedoch mißlang, woraufhin er sich so heftig am Kinn kratzte, daß die Nadel des Tonbandgeräts ausschlug.
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Er sah sich um. Es war Wield, der einige Minuten zuvor von Novello hinausgebeten worden war. In seinem Gesicht konnte man nicht leicht lesen, aber Dalziels geübtes Auge erkannte, daß er nicht besonders glücklich war.
Zumindest erlaubte ihm das eine kurze Verschnaufpause. Er unterbrach das Verhör, schaltete das Band ab und ging hinaus auf den Korridor.
»Erheitern Sie mich«, lud er Wield ein.
»Um die Ecke im ›Queeds Head‹ gibt es gutes Bier.« Wield warf einen mitleidsvollen Blick auf Dalziels schweißbeperlte Stirn.
»Das war’s?«
»Zur Erheiterung, ja, Sir. Nachricht vom Gerichtsmediziner. Das Haar am Haarband stammt definitiv nicht von Lorraine. Und auch sonst nichts aus dem Wagen, womit nachgewiesen werden könnte, daß sie jemals drin gesessen hat. Dasselbe gilt für Novellos Müllsammlung.«
»Verdammt«, sagte Dalziel.
»Sie denken wirklich, er war’s, Sir?«
Dalziel zuckte mit den Schultern. »Gott, ich hasse diesen Mistkerl. Ich würd ihn wirklich gern einbunkern und den Schlüssel wegschmeißen.«
»Turnbull?« fragte Wield erstaunt.
»Nein! Hoddle, diesen verdammten Anwalt. Noch mehr gute Nachrichten?«
»Nicht aus Bixford. Wenn Turnbull sich als Abgeordneter aufstellen ließe, würden sie ihn wählen. Die Damen finden ihn reizend, und die Männer halten ihn für einen tollen Kumpel, solange er nicht gerade mit einer ihrer Frauen schäkert. Der Pfarrer ist bereit, das Kirchensilber zu verpfänden, falls Geordie eine Kaution braucht. Und die Gemeinde würde lieber all ihre Kinder Geordie Turnbull anvertrauen als dem örtlichen Kinderarzt.«
»Ach ja? Das wird sich bestimmt ändern, sobald Gerüchte aufkommen und die Leute sich das Maul zerreißen. Diese Christen können alles vergeben, nur keine Unschuld. Glauben Sie, er ist
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