Das Dorf in den Lüften
finden.
Ehe der Professor Garner den Schwarzen Erdtheil betrat, hatte er sich mit der Welt der Affen – natürlich der gezähmten – eingehend beschäftigt. Aus seinen langen und sorgsamen Beobachtungen schöpfte er die Ueberzeugung, daß die Vierhänder wirklich »sprächen«, daß sie einander verständen, sich einer articulierten Sprache bedienten und z. B. ganz bestimmte Wörter gebrauchten, um ihr Bedürfniß zu fressen, und bestimmte andere, um das Bedürfniß zu saufen auszudrücken. Garner hatte im Washingtoner Zoologischen Garten phonographische Apparate vertheilt, um die Wörter dieser Sprache aufzunehmen. Er beobachtete auch, daß die Affen – ungleich den Menschen – nur sprachen, wenn dazu eine Nothwendigkeit vorlag. Seine Ansicht darüber drückte er in folgendem Satze aus:
»Die Kenntnisse, die ich mir über die Thierwelt erworben habe, nöthigten mir den Glauben auf, daß allen Säugethieren die Fähigkeit zu sprechen zukomme, und zwar bis zu dem Grade, wie ihre Erfahrungen und Bedürfnisse eine solche erheischen.«
Vor den Untersuchungen Garner’s wußte man ja schon, daß die Säugethiere, wie Hunde, Affen und andere, einen laryngo-buccalen Apparat (Kehlkopf-und Mundorgane) haben, der dem des Menschen ähnelt, und auch eine Stimmritze, die zur Hervorbringung articulierter Laute geeignet erscheint. Man wußte aber auch – möge sich die Schule der Simiologen deshalb nicht aufregen – daß der Gedanke dem Worte vorausgegangen ist. Um zu reden, muß man denken können, und das Denken setzt die Fähigkeit des Generalisierens voraus, eine Fähigkeit, die den Thieren offenbar abgeht. Der Papagei spricht, er versteht aber kein Wort von dem, was er sagt. Kurz, in Wahrheit reden die Thiere nur deswegen nicht, weil die Natur sie nicht mit hinreichender Intelligenz ausgestattet hat, denn sonst würde sie nichts daran hindern. Allgemein gilt ja der Satz, den ein gelehrter Kritiker ausgesprochen hat: »Wo eine Sprache sein soll, da muß auch Ueberlegung und wenigstens einigermaßen begründetes Urtheil sein, und zwar über einen abstracten und allgemeinen Begriff« Diese dem gesunden Menschenverstande entsprechende Voraussetzung wollte Garner aber nicht anerkennen.
Selbstverständlich wurde seine Lehre vielfach erörtert. Er entschloß sich, mit den betreffenden Geschöpfen, die er in den Wäldern des tropischen Afrika in großer Zahl und großer Verschiedenheit finden mußte, unmittelbar in Berührung zu treten. Wenn er dann dem Gorilla und dem Schimpansen ihre Sprache abgelauscht hätte, wollte er nach Amerika heimkehren und neben einer Grammatik ein Wörterbuch der Affensprache veröffentlichen. Dann müßte man, solchen greifbaren Beweisen gegenüber, ihm wohl recht geben.
Hat Garner nun das sich selbst und der Gelehrtenwelt gegebene Versprechen gehalten?… Das war die Frage, und – darüber konnte kein Zweifel aufkommen – Doctor Johausen glaubte das, wie es sich im weiteren zeigen wird, offenbar nicht.
Im Jahre 1892 begab sich Garner von Amerika nach Afrika, erreichte Libreville am 12. October und nahm bis zum Februar 1894 in der Factorei von John Holland und Cie. Wohnung. Erst hier entschloß sich der Professor eigentlich, seine Studienreise zu beginnen. Nachdem er den Oguë auf einem kleinen Dampfer hinausgefahren war, ging er bei Lambarana an’s Land und langte am 22. April in der katholischen Mission von Fernand Vaz an.
… ebenso eine Drehorgel, hoffend, daß die Affen für Musik empfänglich sind… (S. 100.)
Gastfreundlich nahmen ihn die Väter vom heiligen Geist in ihrem am Ufer des prächtigen Fernand Vazsees errichteten Hause auf. Der Gelehrte hatte die Zuvorkommenheit der Insassen der Mission nur zu rühmen, denn alle bemühten sich, ihm sein abenteuerliches zoologisches Unternehmen zu erleichtern.
Gleich hinter der Niederlassung erhoben sich die ersten Bäume eines ausgedehnten Waldes, worin es von Affen geradezu wimmelte. Günstigere Verhältnisse, sich mit diesen in Verkehr zu setzen, konnte man sich gar nicht vorstellen. Nothwendig war nur, sich mit den Vierhändern auf guten Fuß zu stellen und ihre Lebensweise so gut wie möglich zu theilen.
Zu diesem Zwecke hatte Garner einen eisernen, zerlegbaren Käfig anfertigen lassen, und dieser wurde nun in den Wald geschafft. Angeblich hat er darin drei Monate und auch meist ganz allein gewohnt, um die Vierhänder im Naturzustande zu beobachten.
Thatsächlich hatte der vorsichtige, kluge Amerikaner dafür eine Stelle
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