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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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weiter, ohne ihr Gesicht zu zeigen. Zwischen den Handballen troff es heraus und benetzte die Tischplatte. Es war nicht ersichtlich, ob es sich um Tränen oder Speichel handelte.
    Große Jäger wechselte mit Christoph einen Blick und drängte sich vor. Er stellte sich hinter die Frau und berührte sanft ihre beiden Schultern. Nach einer Weile fuhr er vorsichtig mit der flachen Hand über ihren Kopf.
    Sie ließ es geschehen.
    Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, bis sie ihren Kopf hob. Die Augen waren rot verquollen. Über die Wangen zogen sich die Rinnsale der Tränen entlang.
    Â»Ist es wahr?«, fragte sie mit kaum wahrnehmbarer Stimme.
    Die beiden Beamten sahen sich erstaunt an.
    Â»Was soll wahr sein?«, fragte Christoph.
    Â»Das mit Michel – meinem Mann.« Man musste genau hinhören, um sie zu verstehen.
    Â»Wovon sprechen Sie?«
    Â»Dass er …« Sie brach ab. Ein weiterer Weinkrampf schüttelte sie. »Dass er zerstückelt ist«, kam es schließlich aus ihr stoßweise heraus.
    Â»Wer hat Ihnen das gesagt?«
    Sie zeigte auf das Telefon. »Mariechen hat angerufen. Sie hat gesagt, in Reimers Fermenter hätte man Michel gefunden. Total zerstück…« Erneut brach sie ab.
    Große Jäger konnte gerade noch zupacken, bevor sie vom Stuhl rutschte.
    Â»Ich rufe den Rettungsdienst«, entschied Christoph. Dann schüttelte er den Kopf. Es war unglaublich, was sich manche Menschen herausnahmen. Ohne Sinn und Verstand wurden Gerüchte in Umlauf gebracht. Welche Reaktionen das bei den Betroffenen auslöste, wurde dabei nicht bedacht.
    Â»Das ist vielleicht gar nicht so schlimm«, schluchzte Gesine Witte. »Hat Mariechen gesagt. War vielleicht ein Unfall.« Aus tränenverschleierten Augen sah sie Christoph an. Dann streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Es war eine schmale Hand. Christoph ergriff sie und hielt sie fest.
    Â»Wir wissen noch gar nichts«, sagte er.
    Oft gerieten Menschen in einer solchen Situation in die Versuchung, Trost spenden zu wollen, und wiegelten ab. Das war verkehrt, wusste Christoph. Es nährte unter Umständen falsche Hoffnungen. Der Zusammenbruch würde hinterher noch schlimmer ausfallen. Derzeit war alles noch rätselhaft. Ein einzelner Finger konnte vieles bedeuten. Es war nicht einmal sichergestellt, dass es sich um Michel Witte handelte. Allerdings – Christoph blieb dabei – schien ein Unfall unwahrscheinlich. Er rief sich Reimers’ Erklärungen in Erinnerung. Der Feststoffeintrag, die rotierenden Messer, die Transportschnecken. Diesen Gedanken mochte er nicht fortsetzen.
    Â»Der Firmenwagen Ihres Mannes steht vor der Tür«, sagte Christoph. »Wissen Sie, wo er sich aufhält?«
    Frau Witte straffte sich.
    Â»Ja doch. Klar.« Sie wischte sich mit dem Hemdsärmel über das Gesicht. »Warum habe ich nicht gleich daran gedacht? Michel kann das gar nicht sein. Er ist gar nicht da.« Man spürte, wie die Erleichterung sie überkam.
    Â»Wo ist Ihr Mann?«
    Â»Der ist weggefahren. Nach Kiel. Der ist gar nicht in Everschopkoog.« Sie griff zum Telefon und unternahm den Versuch, eine Telefonnummer einzugeben. »Ich ruf ihn gleich an.« Ein hoffnungsvolles Lächeln zeichnete sich auf ihrem blassen Gesicht ab. »Warum habe ich nicht daran gedacht?«
    Ihre Hände zitterten. Es gelang ihr erst nach mehreren Versuchen, die richtige Kurzwahl einzugeben. Dann hielt sie sich das Telefon ans Ohr. Es war totenstill im Raum. Bange Sekunden vergingen, bis aus dem Telefon unverständliche Laute drangen. Sie nahm den Hörer vom Ohr und starrte ihn an, als könne sie dadurch etwas erkennen.
    Â»Die Mobilbox«, sagte sie tonlos. »Klar. Ist doch logisch. Michel hat ein Gespräch in Kiel. Da hat er sein Telefon ausgeschaltet.«
    Â»Mit wem ist Ihr Mann verabredet?«
    Â»Der ist gestern in die Landeshauptstadt gefahren. Ins Ministerium. Er hat dort einen Termin. Es geht um die Windeignungsflächen.«
    Â»Kennen Sie den Namen seines Gesprächspartners?«
    Sie schüttelte bedächtig den Kopf.
    Â»Darum habe ich mich nie gekümmert. Politik ist Michels Sache. Zuerst wollte er gar nicht, aber dann haben die anderen ihn bedrängt. Bürgermeister in einer so kleinen Gemeinde. Das ist ein harter Job. Es gibt ja keinen Gemeinderat. Sie sind Einzelkämpfer. Und? Was ist der Dank? Alle meckern und hacken auf Michel

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