Das Dorf in der Marsch
Kniekehlen.
»Beide?«, fragte sie schlieÃlich.
»Das ist mein Kollege Oberkommissar GroÃe Jäger. Mein Name ist Johannes.«
»Oberkommissar?«
Unwillkürlich trat sie einen halben Schritt zurück. Dann wandte sie den Blick GroÃe Jäger zu. Als Ober kommissar war er in ihren Augen der Dienstvorgesetzte. Es war ihrer Mimik anzusehen, dass sie irritiert war.
»Um was geht es?«, fing sie sich.
»Ist Herr Wychzek im Hause?«
»Ja â natürlich. Hat er irgendetwas â¦?« Sie brach mitten im Satz ab.
»Wir haben nur ein paar allgemeine Fragen zu einem Vorgang aus der Nachbarschaft. An Sie beide. Dürfen wir eintreten?«
»Wir sind gerade beim Essen. Können Sie noch einmal wiederkommen?«
»Das ist ungünstig«, mischte sich der »Chef« GroÃe Jäger ein. »Sie dürfen auch gern weiteressen. Wir stören Sie nicht.«
Es war ihr anzusehen, dass sie überlegte und abwog, wie sie sich entscheiden sollte. SchlieÃlich öffnete sie die Tür ganz und trat zur Seite.
»Gleich links«, sagte sie und zeigte auf eine offen stehende Zimmertür mit geriffelter Scheibe.
Christoph ging voran und klopfte pro forma an. Es war ein im Winkel gebautes Wohnzimmer, in dessen Nische der Esstisch stand. Dort saà ein groÃer kräftiger Mann mit grau meliertem kurz geschnittenen Haar und einem weiÃen Vollbart. Er sah auf, als die Beamten eintraten.
»Die sind von der Polizei, Günter«, erklärte Frau Lattmann, die hinter GroÃe Jäger stand und vom Oberkommissar völlig verdeckt wurde.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Christoph.
»Wir sind gerade beim Mittag.« Es klang unwirsch.
»Lassen Sie sich nicht davon abhalten«, erklärte GroÃe Jäger und nahm auf einem freien Stuhl Platz. Er zog das benachbarte Sitzmöbel ein Stück vom Tisch ab und nickte Christoph zu. »Hier.«
Frau Lattmann setzte sich wieder, nahm ihren Löffel zur Hand, vergaà aber zu essen, während Wychzek seelenruhig weiteraÃ.
Eintopf, registrierte Christoph. Kartoffelsuppe, in der neben Schinkenstückchen auch Krabben schwammen. Die verrührte Sahnehaube war nur noch im Ansatz zu erkennen.
»Sie haben es schon gehört?«, begann GroÃe Jäger.
Wychzek sah den Oberkommissar über seinen Löffelrand an.
»Was?«
»Die Ereignisse, die durchs Dorf laufen.«
»Bei uns ist nichts angekommen.«
»Hat der Briefträger nichts erzählt? Die Nachbarn?«
Die beiden Hausbewohner wechselten einen Blick.
»Wir hatten heute keine Post«, erklärte Frau Lattmann.
»Und zu Nachbarn pflegen wir keine intimen Kontakte«, ergänzte ihr Partner. »Guten Tag und guten Weg. Das warâs auch schon. Es ist ein bisschen schwierig, mit den Dörflern ins Gespräch zu kommen.«
»Wie lange wohnen Sie schon in Everschopkoog?«, fragte Christoph.
»Zwei Jahre«, antwortete Frau Lattmann. Das überschnitt sich mit den »vier Jahren« Wychzeks. Erneut sahen die beiden sich an. Dann hob Frau Lattmann leicht den Arm in Richtung ihres Partners.
»Wir haben das Haus vor vier Jahren gekauft. Wir sind günstig daran gekommen. Das Haus hatte ein Ehepaar aus Delmenhorst als Altersruhesitz gekauft. Dann ist der Mann krank geworden, und es wurde für die beiden schwierig, das Haus zu unterhalten.«
»Aber auch die ärztliche Versorgung war nicht optimal, Günter«, ergänzte Frau Lattmann und sah GroÃe Jäger an. »Hier gibt es kaum Fachärzte auf Eiderstedt. Sie müssen immer nach Husum. Und dort bekommen Sie keinen Termin.«
»Das spielt doch keine Rolle«, sagte Wychzek in belehrendem Tonfall. »Wir haben das Haus gekauft, und als ich vor zwei Jahren in den zweiten Teil meiner Altersruhezeit ging, sind wir hierhergezogen.«
»Sie sind also Fremde «, stellte Christoph fest.
Die beiden fragten weder nach, noch protestierten sie.
»Wir sind Einwohner Everschopkoogs«, erklärte Wychzek in einem Tonfall, der aufs Ruhrgebiet schlieÃen lieÃ.
»Woher stammen Sie?«, wollte Christoph wissen.
»Aus Duisburg.«
»Günter war dort Jahrzehnte als Hütteningenieur beschäftigt«, ergänzte Frau Lattmann.
»Aha, als Architekt. Dann sind Sie verantwortlich für die vielen seelenlosen Neubauten, die unsere Städte verunstalten.« GroÃe Jäger verschränkte die
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