Das Dorf in der Marsch
würde er seiner Partnerin gebieten, zu schweigen.
»Welche Qualitäten haben Sie denn bei Herrn Gaultier ausgemacht?«, fragte Christoph.
Sie senkte den Blick und sah auf die gefalteten Hände, die vor ihr auf der Tischplatte lagen. Erst als Christoph sie ein zweites Mal zum Sprechen aufforderte, sagte sie stockend: »Günter ist Ingenieur. Der sieht alles nüchtern und von der technischen Warte.« Dann blickte sie ihrem Partner ins Gesicht. »Du hast kein Empfinden für die Schönheiten des Seins. Dazu gehört auch die Kunst. Nicht wahr?«
Es wirkte, als würde sie um Zustimmung bitten. Doch Wychzek tat ihr nicht den Gefallen.
»Sie haben sich von Gaultiers Bildern einfangen lassen?«, fragte Christoph.
Sie bewegte kaum merklich den Kopf. »Ich male selbst.«
»Deine Sachen sind ja auch schön. Zumindest für einen Laien, der autodidaktisch zum Malen gekommen ist. Aber der Schmierlappen ⦠Nicht nur die Bilder sind verworren, der ganze Kerl ist so.«
»Sie mögen Gaultier nicht?«
Bärbel Lattmann hob zaghaft den Zeigefinger, als säÃe sie in der Schule und würde sich zu Wort melden. Christoph nickte ihr zu, als würde er ihr das Wort erteilen.
»Das stimmt nicht. Günter hat Rogers Atelier noch nie besucht.«
Wychzek verzog das Gesicht. »Rotscher«, sprach er den Namen englisch aus. »Oder soll ich Roger sagen?« Diesmal war es deutsch.
»Der Mann heiÃt Roschee«, korrigierte ihn Bärbel Lattmann. »Er ist Künstler. Der hat einen anderen Blick auf das Leben als du und ich.«
»Genau. Der sieht überall unter den Rock.«
Bevor die Auseinandersetzung des Paares weiter eskalierte, mischte sich Christoph ein.
»Herrn Gaultier eilt ein gewisser Ruf der Leichtlebigkeit voraus. Hat er es auch bei Ihnen versucht?«, wandte sich Christoph an die Frau.
»Das möchte ich auch gern wissen«, ereiferte sich Wychzek. »Wenn du ihn in seinem Atelier besucht hast ⦠Welchen Pinsel hat er geschwungen?«
»Günter!« Bärbel Lattmanns Ausruf klang schrill.
»Haben Sie konkrete Verdachtsmomente für Ihre Anschuldigungen?«, mischte sich Christoph ein.
Wychzek nagte an seiner Unterlippe.
»Nein«, sagte er schlieÃlich. »Aber jeder im Dorf weià von seiner Jagd auf Frauenröcke.«
»Sie meinen die Auseinandersetzung mit Witte? Das soll aus diesem Grund geschehen sein.«
»Der hätte noch mehr zuschlagen sollen.«
»Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie Gaultier nicht leiden mögen. Mit wem hatte der Maler sonst noch Streit?«
»Mit allen.«
»Können Sie das ein wenig spezifizieren?«
»Ich sagte doch: mit allen.«
»Und Witte?«
Wychzek reckte sich. »Sie versuchen, einen Keil zwischen die Menschen in diesem Dorf zu treiben. Was soll das?« Plötzlich besann er sich. »Ist das eine neue Art der Gesinnungsschnüffelei? Sie fragen uns aus, ohne zu sagen, weshalb Sie überhaupt hier sind.«
»Im Ort ist ein menschlicher Finger gefunden worden.«
Während Bärbel Lattmann sich erschrocken die Hand vor den Mund hielt, streckte ihr Partner den Polizisten seine zehn Finger entgegen.
»Ich habe meine noch. Alle. Bringen Sie ihn doch ins Fundbüro. Vielleicht meldet sich derjenige, dem er abhandengekommen ist.«
»Wenn Sie das so amüsant finden, können wir das Gespräch gern auf unserer Dienststelle in Husum fortsetzen.« GroÃe Jäger hatte dabei mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte geklopft.
»Nun mal ruhig. So war das nicht gemeint. Sie müssen das verstehen. Da kommen zwei Leute hier hereingeschneit, während wir beim Mittag sind, und stellen merkwürdige Fragen.«
»Es ist auch eine nicht alltägliche Situation, dass wir einen Finger finden«, antwortete Christoph.
Wychzek schien etwas eingefallen zu sein. Sein Mienenspiel verriet es. »Wo haben Sie den Finger gefunden?«
»Auf dem Hof von Bauer Reimers.«
Jetzt sah das Paar doch ein wenig betrübt aus.
»Bei Reimers?« Wychzeks Frage war rhetorisch. »Doch nicht seiner, ich meine Reimersâ?«
»Nein.«
»Würde mich aber nicht wundern. Die Bauern haben überall ihre Finger drin. Ohne deren Mafia läuft hier gar nichts.«
»Das sind doch keine Verbrecher. Jetzt wirst du ungerecht«, warf Bärbel Lattmann ihrem Partner vor.
»Du missverstehst wieder alles.
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