Das Dorf in der Marsch
gekleidete Frau, das Haus und die Einrichtung bildeten eine harmonische Verbindung. Die Diele war sparsam möbliert. Es dominierte eine groÃe Standuhr mit Westminsterschlag, die in jedes englische Schloss gepasst hätte. Ein alter Sekretär stand an der Wand, daneben ein Stuhl mit hoher geflochtener Lehne. Eine Ablage für Garderobe suchte man vergebens.
Frau Nielsen ging voraus und öffnete eine zweiflügelige Tür, die zu einem groÃen Raum führte. Man durfte ihn durchaus als »Salon« bezeichnen. Eine Wand wurde von einem Bücherregal eingenommen. Christoph konnte nur die Rückseiten ledergebundener Werke erkennen. Auf den tiefen Teppichen waren vor einem Kamin Ohrensessel gruppiert. Aus einem der Sitzmöbel erhob sich ein Mann mit schlohweiÃem vollen Haar und kam ihnen entgegen. Obwohl Nielsen schon die achtzig überschritten hatte, ging er kerzengrade. Die hochgewachsene Gestalt, das Gesicht mit den aristokratischen Zügen und die drahtige Figur verliehen dem Mann eine natürliche Autorität. Man war geneigt, ihm den »General« auch ohne das Wissen um diese frühere Position abzunehmen.
»Karl. Die Herren sind von der Polizei. Sie möchten uns ein paar Fragen stellen.«
Nielsen zog eine Augenbraue in die Höhe.
»So?«, fragte er. Es war eher eine Feststellung. Dann wies er mit seiner Hand auf die Sessel. »Bitte.«
Er wartete, bis Christoph und GroÃe Jäger Platz genommen hatten, und setzte sich erst, als auch seine Frau sich niedergelassen hatte. Während Frau Nielsen ihre Beine nebeneinanderstellte und ihre Hände auf die Knie legte, schlug Karl Nielsen die Knie übereinander, nachdem er zuvor an seiner tadellosen Bügelfalte gezogen hatte.
Christoph fühlte sich in ein englisches Landhaus versetzt und wäre nicht erstaunt gewesen, wenn ein Butler erschienen wäre und gefragt hätte, wie er den Tee servieren dürfe. Er nannte noch einmal GroÃe Jägers Namen, dann seinen.
Nielsen musterte den Oberkommissar. Aus seiner Miene war ersichtlich, dass er nach dieser Inaugenscheinnahme beschloss, GroÃe Jäger zu ignorieren und seine Aufmerksamkeit Christoph zuzuwenden.
»Es hat im Ort einen Zwischenfall gegeben. Das veranlasst uns, nach dem Verbleib Ihres Bürgermeisters zu suchen.«
»Witte?« Erneut zog Nielsen die Augenbraue in die Höhe. Es sprach für ihn, dass er keine Fragen stellte, keine Einzelheiten wissen wollte.
»Wir ziehen Erkundigungen über Herrn Witte ein. Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas aufgefallen?«
»Wir nehmen nicht am Dorfleben teil, obgleich wir hier wohnen. Die Interessen unterscheiden sich doch erheblich. Damit möchte ich nicht missverstanden werden oder gar etwas über die Leute sagen oder mir ein Urteil anmaÃen.«
»Sie kennen aber die anderen Menschen, die hier leben? SchlieÃlich ist Everschopkoog ein überschaubares Gemeinwesen.«
»Sicher. Wir haben dieses Haus vor â¦Â«, er sah seine Frau an und runzelte dabei die Stirn, ȟber vierzig Jahren erworben und nach unseren Vorstellungen eingerichtet. Ich war früher beruflich in dieser Region tätig.« Nielsen unterlieà es, von seinem Dienst bei der Luftwaffe zu sprechen. »Wir schätzen die Ruhe und Abgeschiedenheit. Das gilt nicht nur für die Lage, sondern auch hinsichtlich der Kontakte. Wir pflegen einen gediegenen Freundeskreis. Nette Leute aus Kultur und Gesellschaft.«
»Darf ich aus Ihren Worten schlieÃen, dass niemand aus dem Dorf dazugehörte?«
»Korrekt.«
»Sie haben gehört, dass es im Ort zwei Gruppen gibt, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Haben Sie Präferenzen für eine der Seiten?«
Nielsen schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Auf Eiderstedt prallen hartnäckig die Interessen der Naturschützer und der Landwirte aufeinander. Stichwort âºWiesenvogelschutzâ¹. Die Situation scheint verfahren. Symptomatisch ist die Diskussion um die Ausweisung des Eiderstedter EU -Vogelschutzgebiets. Jeder hat seine berechtigten Interessen. Es müsste zu einem Austausch der Argumente kommen. Die Akzeptanz der Menschen gegenüber konventioneller Landwirtschaft schwindet. Man ist gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Landschaftsveränderung durch den Maisanbau, wie ihn die Biogasanlagen erfordern. Das Landschaftsbild ändert sich; es schwindet die Tier- und Pflanzenvielfalt. Ich
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