Das Dorf in der Marsch
sich auch darin aus, wie sie uns vom Streit berichtet haben, ohne dabei Partei für eine Seite zu ergreifen, während alle anderen, mit denen wir bisher gesprochen haben, heftig über die Nachbarn herzuziehen wussten. Und nun?«
»Jetzt fahren wir nach Husum zurück.«
Nur gelegentlich begegnete ihnen ein Fahrzeug auf der StraÃe, die direkt hinterm Deich entlangführte. Zu dieser Jahreszeit hielten sich noch zahlreiche Urlauber in der Region auf. Manche, die das rege und quirlige St. Peter-Ording an Eiderstedts Spitze zum Urlaubsdomizil gewählt hatten, nutzten die Zeit für einen Ausflug in die Weite der Marsch, in Eiderstedts Herz mit den entdeckenswerten Kleinodien wie den jahrhundertealten Kirchen, den schmucken Dörfern, den »Dorfkrügen«, deren regionale Küche sich oft als kulinarischer Geheimtipp entpuppte, oder den versteckten Ateliers der Künstler, die sich hier niedergelassen hatten.
Die Ortschaft Uelvesbüll mit etwa zweihundertfünfzig Einwohnern wirkte fast schon groà im Vergleich zu Everschopkoog. Immerhin gab es hier auch eine Kirche, wenngleich St. Nikolai mit einhundertfünfzig Jahren noch recht jung war im Vergleich zu den anderen Gotteshäusern Eiderstedts.
Die StraÃe endete an einer anderen LandesstraÃe, der Christoph folgte. Sie lieÃen den Roten Haubarg links liegen, und nach weiteren sieben Kilometern, die teilweise kurvenreich über den Deich führten, erreichten sie die BundesstraÃe. Hier herrschte lebhafter Verkehr, und sie mussten eine Weile warten, bis Christoph einbiegen und in der Fahrzeugschlange Richtung Husum mitschwimmen konnte. Wenig später erreichten sie die Dienststelle gegenüber vom Husumer Bahnhof.
»Husum, PoggenburgstraÃe«, sagte GroÃe Jäger versonnen. »Ob das einmal eine Adresse wird, die im gleichen Atemzug wie Baker Street 221b genannt wird?«
Christoph lächelte, als er den Volvo hinter dem nüchternen Zweckbau der Polizeidirektion parkte.
»Dann musst du noch eine Menge dran arbeiten, Dr. Watson.«
GroÃe Jäger strich sich zunächst über den Schmerbauch, dann rückte er ganz bis an die Autotür heran, um den Abstand zwischen sich und Christoph zu vergröÃern. Er bog die Finger beider Hände und führte sie vor die Augen, als würde er ein Fernglas ansetzen.
»Dr. Watson würde ziemlich einsam in Husum ermitteln. Einen Sherlock Holmes kann ich auch mit einem starken Feldstecher nicht erkennen.«
»Es ist auch gut so, dass uns beide niemand kennt«, sagte Christoph.
»So ist es nun auch wieder nicht«, protestierte der Oberkommissar. »Wenn ich in der Neustadt unterwegs bin, kennt man mich schon.«
»Wer? Die Wirte? Die Kneipengänger? Oder duzt du dich mit jedem Barhocker in der dortigen Szene?«
Sie wurden durch eine Gruppe von Menschen abgelenkt, die vor dem Tresen der Anmeldung stand und lautstark auf die Angestellte einwirkte. Christoph zählte sechs betagte japanische Touristen, die in ihrer Muttersprache auf die Mitarbeiterin einredeten. Entschlossen drängte sich GroÃe Jäger in die Mitte.
»Was ist hier los?«
Die Kollegin atmete tief durch. »Ich weià es nicht. Die Herrschaften sind hier hereingestürmt und verbal über mich hergefallen. Ich habe es auf Englisch versucht, aber vergeblich.«
Christoph besah sich die Japaner, die einem Comic entsprungen zu sein schienen. Die Männer hatten Spiegelreflexkameras vor den Bäuchen hängen, während die Frauen handliche Digitalkameras in den Händen hielten und von der Angestellten über den Tresen bis zum Wandkalender alles fotografierten. Dabei lagen die Augen der Frauen im Schatten der Kochtöpfen nicht unähnlichen Hüte, wie Christoph sie bisher nur bei den Asiaten gesehen hatte.
Einer der Männer erhob seine Stimme. Er sprach in hoher, fast quiekender Tonlage.
»Gofi«, verstand Christoph.
Der Japaner wiederholte es mehrfach. »Gofi. Gofi.«
»Goofy?«, fragte GroÃe Jäger nach.
Die drei Männer der Gruppe nickten heftig. »Gofi.« Sie schienen froh zu sein, dass sich jemand ihres Problems annahm.
»Micky Mouse? Donald? Dagobert? Daniel Düsentrieb?«, zählte GroÃe Jäger ein paar Figuren auf.
Die Japaner schüttelten heftig die Köpfe.
»Gofi.«
»Wir sind hier nicht in Entenhausen«, erklärte GroÃe Jäger auf Deutsch.
Der
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