Das Dorf in der Marsch
meine: Landwirte und Naturschützer sollten miteinander reden. Natürlich haben auch die Landwirte recht. Im harten europäischen Wettbewerb sind sie zur wirtschaftlichen Produktion von Lebensmitteln gezwungen. Viele Bewohner Eiderstedts empfinden den Konflikt als eher abschreckend, zumal bei diesem Streit übersehen wird, dass auf Eiderstedt mittlerweile auch der Tourismus eine herausragende Rolle spielt. So, wie der Konflikt auf der grünen Halbinsel im Ganzen ausgetragen wird, findet er sich hier im Dorf wieder. Vernünftige Leute hätten sich gewünscht, dass der Bürgermeister als Mediator die Parteien an einen Tisch bringt und man zu einem Konsens findet. Man fragt sich, ob Witte dazu der richtige Mann ist. Eine ehrliche Haut, ein grundsolider Handwerker, aber diesen Anforderungen sicher nicht gewachsen.«
»Könnten auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen?«, fragte Christoph.
»Das Monetäre ist in der Geschichte fast immer eine der Triebfedern gewesen«, erklärte Nielsen. »Da, wo es gilt, für sich selbst Vorteile zu erzielen, werden moralische Grundprinzipien über Bord geworfen.«
»So sehr, dass es über verbale Auseinandersetzungen hinausgehen kann?«
Karl Nielsen zögerte mit der Antwort. Er legte seine gepflegten Händen gegeneinander, bevor er erklärte: »Ich war Soldat und habe mich stets mit den ethischen und moralischen Fragen meines Berufs auseinandergesetzt. Dazu gehörte natürlich auch die Frage, ob und wann Gewalt gegen Menschen und Sachen eingesetzt werden darf. Dem preuÃischen General Carl von Clausewitz verdanken wir die Erkenntnis, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Das war vor ungefähr zweihundert Jahren. Wie die Geschichte uns gelehrt hat, ist dieser Gedanke des klugen Mannes ins Leere gelaufen. Im GroÃen wie offenbar hier in Everschopkoog.«
Christoph beugte sich ein wenig vor. »Das sind groÃe Worte. Wollen Sie damit andeuten, dass es hier um wesentlich mehr geht als um nachbarschaftliches Geplänkel?«
Nielsen lieà sich nicht dazu hinreiÃen, Stellung für eine der beiden Interessengruppen zu beziehen. Er wiederholte die schon genannten Argumente beider Seiten pro und contra Windenergie. »Es wird eine Diskussion darüber geführt, ob man einen Bürgerwindpark errichten soll. Dafür ist Everschopkoog aber zu klein, hat zu wenig Einwohner. Um das zu umgehen, gibt es Gedankenmodelle, mit anderen Orten zu fusionieren. Es taucht immer wieder die Idee auf, alle Gemeinden Eiderstedts zu einer GroÃgemeinde nach dem Vorbild Fehmarns zusammenzufassen. Dieser Vorschlag wird forciert von einem Mann aus Marschenbüll.«
»Sie meinen Hermann von Dirschau, den Landtagsabgeordneten«, unterbrach ihn Christoph.
Nielsen ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort:
»Der wollte sich in erheblichem Umfang daran beteiligen. Hierüber ist es im Dorf zu Meinungsverschiedenheiten gekommen.«
»Wer hat sich gegen wen gewandt?«
Ein Ruck ging durch Nielsen.
»An Spekulationen beteilige ich mich nicht. Ebenso wenig am Dorfklatsch.«
»Man munkelt, dass es auch Differenzen zwischen der alteingesessenen Bevölkerung und Hinzugezogenen gibt«, versuchte Christoph es erneut.
»Kein Kommentar.«
»Manch einer der Neuen scheint von überbordender Lebensfreude zu strotzen und stellt den Frauen des Dorfes nach.«
»Das ist nicht unser Niveau«, erklärte Nielsen.
»Hat jemand von Ihnen Michael Witte gestern oder heute gesehen?«
»Wir stehen nicht am Fenster und beobachten die Mitmenschen.« Es klang nicht nur wie eine Zurechtweisung â es war eine.
»Haben Sie Wittes Dienste schon einmal in Anspruch genommen?«
»Der Mann ist ein örtlicher Dienstleister. In diesem Punkt gab es keine Beanstandungen.«
Die beiden Nielsens wechselten einen Blick, der unmissverständlich ausdrückte, dass sie alles gesagt hatten, was zu diesem Thema zu berichten war.
»Vielen Dank«, schloss Christoph das Gespräch, bevor Frau Nielsen sie zur Tür geleitete.
ELF
GroÃe Jäger steckte sich eine Zigarette an und sog gierig den Rauch tief in die Lungen.
»Hast du es gerochen?«, fragte er Christoph. »Der General raucht Pfeife. Ich kann mir vorstellen, dass er in seinem Salon sitzt und dazu einen uralten Portwein trinkt.« Er nickte versonnen. »Das Ehepaar hat Stil. Das drückt
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