Das Dorf in der Marsch
aufnehmen und nachfragen, ob der im Namen seiner Frau oder Freundin die Anzeige erstattet hat oder ob Gaultier möglicherweise Butenschön zur Rede stellen wollte, weil dem missfiel, dass Gaultier in fremden Gewässern fischte.«
Christoph rümpfte die Nase. »Solche Auseinandersetzungen sind häufig kurzfristig. Da kann man nicht immer von Stalking sprechen.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte GroÃe Jäger und drehte sich mit seinem Sessel zu Christoph um. »Wenn das zutrifft, dann könnte Gaultier wieder handfest gegen einen gehörnten Ehemann oder Partner vorgegangen sein. Wir wissen, dass es Witte nicht gefiel, als seine Frau ein Techtelmechtel mit dem Maler begann und der Bürgermeister handgreiflich gegen Gaultier wurde. Was ist, wenn unser Künstler nicht von Wittes Frau lassen wollte, der Elektriker erneut dort aufkreuzte und im Eifer des Gefechts von Gaultier mit einem Pinsel erschlagen wurde?«
Hilke Hauck schnaubte, während Christoph belustigt fragte: »Mit einem Pinsel?«
GroÃe Jäger grinste breit. »Sind Künstler nicht skurrile Figuren, die zu sonderbaren Einfällen neigen?«
»Es könnte aber auch eine Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Gruppen im Dorf gewesen sein, zwischen den sogenannten Einheimischen und den Zugezogenen.«
»Als Bürgermeister sollte Witte doch über den Dingen gestanden haben. Wie heiÃt es nach einer Wahl oft so schön? Ich bin der Ortsvorsteher für alle Bürger.«
»Vielleicht war er gar nicht neutral, sondern wollte sein Amt nutzen, um eigene Interessen durchzusetzen«, sagte Christoph.
»Wenn Reimers sauer war, weil Witte ihm das Land nicht weiter verpachten wollte, hätten wir einen weiteren Verdächtigen. Immerhin geht das an die wirtschaftliche Substanz des Hofes.«
»Und andere waren auch nicht gut auf den Bürgermeister zu sprechen. Sie wollten keine Windenergieanlagen in ihrem Dorf.«
»Könnte Witte etwas gegen Reimers gehabt haben«, mischte sich Hilke Hauck ein, »weil der eine Biogasanlage betreibt? Dafür braucht er Mais und anderes Grün. Man hört, dass die benötigten Mengen mit groÃen Fahrzeugen gebracht werden. Die kleinen GemeindestraÃen und Wirtschaftswege sind dieser Belastung oft nicht gewachsen und werden kaputtgefahren. So etwas muss den Bürgermeister stören. Die Reparatur verschlingt Unsummen und übersteigt oft die Möglichkeiten kleiner Gemeinden.«
»Ich glaube, dass das als Motiv nicht ausreicht«, erwiderte Christoph. »Everschopkoog zieht sich an einer einzigen StraÃe entlang. Und das ist eine LandesstraÃe. Dafür kommt Kiel auf.«
»So abwegig ist Tante Hilkes Einwand nicht«, ergriff GroÃe Jäger Partei für die Kommissarin. »Reimers ist durch den Verlust der Fläche in Schwierigkeiten geraten â¦Â«
»Das ist eine unbewiesene Unterstellung«, sagte Christoph, »und sehr weit hergeholt, wenn wir daraus schlieÃen, dass Reimers seinen politischen Widersacher Witte im Fermenter hat verschwinden lassen. AuÃerdem ist es noch nicht bewiesen, dass Witte dort gelandet ist.«
»Wir beide«, dabei zeigte GroÃe Jäger auf Hilke Hauck und sich, ȟberstimmen dich aber.«
Christoph lachte. »Hier herrscht aber keine Demokratie.«
»Despot«, rief ihm der Oberkommissar zu. »Bist du zu Hause auch so?«
»Schlimmer. So! Nun werde ich noch etwas für die Kultur machen.«
Seine Kollegen sahen ihn fragend an.
»Ich werde die Galerie Stiefel in der Neustadt aufsuchen.«
»Neustadt?« GroÃe Jäger schnalzte mit der Zunge. »Das ist mein Revier. Ich komme mit.«
ZWÃLF
Christoph nutzte dem Oberkommissar zuliebe den Wagen, umfuhr den Binnenhafen und überquerte die Klappbrücke, die diesen vom AuÃenhafen trennte. Hinter der Brücke gab es den üblichen Stau, da Ortsfremde mitten auf der StraÃe zu halten pflegten und sich zu orientieren versuchten. Links ging es über die Eisenbahnschienen zum Dockkoog, rechts befand sich die Touristenmeile am Hafen, die zu dieser Jahreszeit nicht befahren werden durfte.
Nachdem auch der letzte verunsicherte Fahrer eine »Lösung« gefunden hatte, konnte Christoph die Fahrt fortsetzen. Er durchfuhr die NordbahnhofstraÃe, die mit ihren niedrigen Backsteinhäusern typisch für diesen Teil der Stadt war, lieà die sich in den letzten
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