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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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kürzlich eine Frau mitgebracht. Ich weiß nicht, ob er die gestochen hat. Eine Hobbymalerin.«
    Â»Erinnern Sie sich an den Namen?«, fragte Christoph.
    Â»Ich habe ihn mir nicht gemerkt. Vielleicht fünfzig. Mit Sommersprossen.«
    Das musste Bärbel Lattmann gewesen sein, die Lebenspartnerin von Günter Wychzek, dem pensionierten Hütteningenieur aus dem Ruhrgebiet.
    Â»Was wollten die beiden?«
    Â»Vergessen Sie es. Stellen Sie sich vor, da quietscht eine Achtjährige auf ihrer Blockflöte in der Adventszeit in der Fußgängerzone. Lauter falsche Töne. Und die Eltern glauben, ihre Tochter könne Konzertsäle füllen und wäre so etwas wie eine neue unentdeckte Lang Lang. Dabei reicht es nicht einmal für Kurz Kurz.«
    Â»Gaultier wollte sich als Protegé für die Frau verwenden?«
    Â»Kann sein. Ich hatte den Eindruck, er hatte ihr irgendwelche Hoffnungen gemacht, um seinerseits zum Abschuss zu kommen. So ist es, wenn man älter wird. Da muss auch ein früher erfolgreicher Stecher kreativ werden und sich etwas einfallen lassen.«
    Â»Wann war Gaultier mit der Frau bei Ihnen?«
    Â»Hach. Lass Sie mich überlegen.« Wieder folgte die linkische Geste, die Hand fuhr durch die Luft, als würde sie schwimmen. »Das war am Montag. Am Vormittag. Genau. Das war noch zur Schlafenszeit. So gegen elf.«
    Große Jäger zündete sich eine Zigarette an, als sie vor die Tür traten. Tief sog er den Rauch in die Lungen.
    Â»Das glaubt uns keiner«, sagte er. »Ist das die viel gepriesene Freiheit? Ich will kein Wort über eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft verlieren. Aber was der Stiefel eben zum Besten gegeben hat, das übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Wie soll man Unschuldige vor solchen Typen warnen? Eine Anzeige aufgeben?«
    Â»Das ist doch nicht strafbar«, sagte Christoph.
    Â»Trotzdem«, beharrte Große Jäger, bevor sie zur Dienststelle zurückkehrten.
    Dort lagen keine weiteren Neuigkeiten vor.
    Christoph beschloss, Feierabend zu machen. Er setzte sich in seinen Volvo und fuhr über die Gaswerkstraße und die Klappbrücke, die den Binnen- vom Außenhafen trennte. Es war Flut, und das Hafenbecken war voll.
    Ein paar Schiffe schaukelten an der Kaimauer: ein Traditionssegler, ein Katamaran, die  MS »Lütte Adler« lag vor der Fußgängerbrücke und würde am nächsten Tag Passagiere an den Liegeplätzen der Krabbenkutter und Frachtschiffe sowie den Flächen der Windanlagenbauer und des historischen Trockendocks vorbei bis zur Mündung der Husumer Au ins Wattenmeer an der Dockkoogspitze bringen. Dahinter, direkt am Binnenhafen, war die »Nordertor« vor Anker gegangen, ein alter Fördedampfer, der heute als uriges Restaurantschiff Gäste einlud, die eine rustikale maritime oder regionale Küche zu schätzen wussten.
    Dank der nach langem Hin und Her endlich fertiggestellten Umgehung musste man nicht mehr durch den quälenden Engpass Neustadt hindurch, in der Stiefels Galerie lag. Christoph bog Richtung Schobüll ab, das nach der Eingemeindung in die Kreisstadt ein begehrter Stadtteil mit exklusiven Wohndomizilen geworden war. Schließlich erreichte er den Nordstrander Damm, der schnurgerade über mehrere Kilometer durch das Wattenmeer führte.
    Ganz traf das nicht mehr zu. Seit der Eindeichung des Beltringharder Koogs zur Rechten war die grüne Insel zur Halbinsel geworden, die jetzt mit dem pfiffigen Slogan »halb Insel – doppelt Urlaub« auf ihre Reize aufmerksam machte. Obwohl er schon eine Weile »drüben« wohnte, empfand er es jedes Mal erneut als merkwürdig, dass mit jedem Kilometer auf dem Damm der Stress des Alltags von ihm abfiel und er in eine andere Welt eintauchte.
    Â»Schön, dass du da bist«, begrüßte ihn Anna, als er das Auto vor dem Haus in England geparkt hatte und sie ihn an der Haustür empfing. Er erhielt einen Kuss.
    Â»Was gibt es zu essen?«, fragte er.
    Sie lachte. »Wenn du so nach Hause kommst, hast du einen entspannten Tag im Büro hinter dir. Stimmt’s?«
    Christoph nickte.
    Â»Wir könnten essen gehen«, schlug sie vor. »Du musst dich gar nicht ausziehen.« Dann sah sie seine verschmutzte Kleidung. »Wo hast du dich herumgetrieben?«
    Â»Ich bin mit Wilderich Große Jäger den Deich heruntergerollt«, sagte er.
    Â»Lügner.«
    Er antwortete nicht,

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