Das Dorf in der Marsch
einen Rock tragen, täte ich es auch.«
»Sie haben demnach keine intime Beziehung zu ihm gepflegt?«, mischte sich GroÃe Jäger ein.
»Beziehung?«, fragte der Galerist und zog das Wort kunstvoll in die Länge. »Das ist doch langweilig. Dabei lernst du doch keine anderen Menschen kennen. Ich«, dabei tippte er sich auf die Brust, »bin in meinem Liebesleben immer sortenrein geblieben. Aber Roger ⦠ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass der Vorsitzende vom Tierschutzverein nicht die Stirn kraus ziehen würde, wäre er eingeweiht.«
»Sie haben also â¦Â« GroÃe Jäger fand keine Gelegenheit, seine Frage zu Ende zu führen.
»Aber ja doch. Wir waren einmal zu einer Auktion in Mailand. Da haben wir uns ein Hotelzimmer geteilt.« Stiefel verdrehte bei der Erinnerung die Augen. »Dagegen ist das Sechstagerennen von Monza eine Seniorenveranstaltung. Die prüden Italiener in den Nachbarzimmern fühlten sich so sehr gestört, dass sie mitten in der Nacht den Portier zu uns schickten. War das ein Kerl. Dunkelhaarig. Glutäugig. Leider aber falsch gepolt. Na ⦠Er pfiff immer den Frauen hinterher. Schätzchen«, sagte Stiefel und beugte sich zu GroÃe Jäger hinüber. »WeiÃt du, dass du eine ungemein aufreizende maskuline Erscheinung bist?«
Instinktiv rückte der Oberkommissar ein Stück zurück.
»Ich mag keine süÃen Kartoffeln«, sagte er forsch.
»Aber mein Darling, wer spricht davon? Hast du eine Ahnung, wie scharf wir zu würzen verstehen. Da brennt dir nicht nur der Gaumen.«
»Danke«, wehrte der Oberkommissar ab.
Der Galerist schwenkte die Hand. Es wirkte fast linkisch. Er klapperte mit den Wimpern und sagte übertrieben gedehnt: »Hach. Schade, dass die besten Männer sich immer an Frauen vergeuden.« Dann biss er in seine Goldkette und bewegte noch einmal die Hand wie eine Diva. Christoph musste lachen. Diese selbstironisch überzogene Geste war gekonnte Schauspielkunst. »Du hast Ãhnlichkeit mit denen.« Er zeigte auf ein halb volles Glas. »Partymöpse« stand auf dem Etikett. »Einfach zum Vernaschen.«
»Möpse sind bei mir etwas anderes. Und schon gar nicht gerollt«, entgegnete GroÃe Jäger. »Und damit das klar ist: Wenn ich einkaufe, benutze ich immer den Haupteingang und komme nicht durch die Hintertür.«
Stiefel wandte sich beleidigt ab. »Das sollten Sie auch nicht wörtlich nehmen. Ich habe Aids. Da gehe ich verantwortungsbewusst mit um.« Er grinste. »Nun seien Sie nicht geschockt. Vermutlich lebe ich damit länger als mancher Säufer und Kettenraucher mit seinem Laster.«
»Und Gaultier?«
»Ha.« Es war makaber, aber es klang fast wie ein Ausdruck des Triumphs. »Ich war schneller. Vielleicht hat Roger das ausschweifendere Leben geführt, aber ich war vor ihm HIV -infiziert.« Stiefel schloss für einen kurzen Moment die Augen, als rufe er wunderbare Erinnerungen auf. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie natürlich sich junge Afrikaner verhalten und bewegen können?«
GroÃe Jäger gab einen Grunzlaut von sich.
»Das Gespräch bekommt allmählich einen schlechten Beigeschmack. Das grenzt fast an Perversion.«
Stiefel gebot ihm mit einer Handbewegung Einhalt.
»Ich habe es bei Ihrem Eintritt gerochen. Sie sind starker Raucher. Ist das nicht ein viel schlimmerer Weg zur Selbstverstümmelung? Bei mir war das â zugegeben â hohe Risiko aber immer von einem Ansatz von Liebe und Sympathie begleitet. Haben Sie solche Empfindungen schon einmal gehabt, wenn Sie Ihren Glimmstängel in Händen hielten?«
»Gaultier weià von seiner HIV -Infektion?«
»Sicher«, bestätigte Stiefel. »Er ist auch in medizinischer Behandlung.«
»In Kenntnis seiner Erkrankung hat er dennoch Verkehr mit nicht infizierten Personen ausgeübt?«, fragte Christoph und dachte an die in Everschopkoog kursierenden Gerüchte, dass Gaultier jeder Frau nachstieg. Ob Witte davon Kenntnis bekommen hatte? Oder ⦠war Witte ein Opfer geworden, damit er nicht erfährt, welches Risiko seine Frau eingegangen ist? Wenn man diesen Gedanken fortsetzte, würden sich unendliche Konsequenzen daraus ergeben.
»Dazu sage ich nichts mehr«, entschied Stiefel und holte Christoph in die Gegenwart zurück. »Jedenfalls hat Roger
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