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Das Dorf in der Marsch

Das Dorf in der Marsch

Titel: Das Dorf in der Marsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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sondern duschte rasch und zog sich um. Wenig später fuhren sie nach Norderhafen, um im Restaurant »Zur Nordsee« mit Blick über den Deich den Sonnenuntergang zu verfolgen. Es war ein fast kitschiges Rot, als die Sonne langsam am Horizont in der Nordsee versank und zuvor nicht nur das Wattenmeer, sondern auch Pellworm und die Hallig Nordstrandischmoor in ein faszinierendes mystisches Licht tauchte.
    Sie hatten sich vorweg einen trockenen Sherry bestellt.
    Als Christoph leicht das Glas in Annas Richtung hob, fragte er sie unvermittelt: »Liebst du mich?«
    Sie hielt mitten in der Bewegung inne. »Bitte?«
    Â»Das war doch eine deutliche Frage.«
    Â»Die war nicht deutlich, sondern dumm. Schließlich sind wir verheiratet.«
    Â»Ich frage nicht ohne Grund. Kannst du dir vorstellen, dass Frauen, die in einer langjährigen bürgerlichen Partnerschaft mit einer gesicherten Existenz leben, fremdgehen?«
    Anna zögerte. »Was nach außen glücklich und harmonisch aussieht, kann auch Routine bedeuten.«
    Â»Also Langeweile?«
    Anna nippte an ihrem Glas. »Ich denke, man kann das nicht verallgemeinern. Jede Situation ist verschieden.«
    Christoph berichtete in anonymisierter Form von dem, was ihm am Tage begegnet war.
    Anna zeigte sich erschüttert.
    Â»Das ist nicht wahr, oder? Geht wirklich jemand in Kenntnis seiner HIV -Infektion eine intime Beziehung zu einem gesunden Menschen ein?« Sie schüttelte angeekelt den Kopf. »Da könnte ich verstehen, dass der Ehemann zum Mörder wird. Im schlimmsten Fall hat er sich bei seiner Frau angesteckt.«
    Â»Irrtum. Nicht der Ehemann ist zum Mörder geworden, sondern der mögliche Liebhaber. Allerdings wissen wir beides noch nicht. Es ist noch nicht bestätigt, dass tatsächlich ungeschützter Geschlechtsverkehr stattgefunden hat. Und ob es einen Mörder gibt, können wir auch noch nicht sagen. Wir haben keine Leiche.«
    Â»Du hast einen seltsamen Beruf«, sagte Anna. »Nun aber Schluss. Jetzt genießen wir unser Essen.« Sie sah der Bedienung entgegen, die die »Land- und Meervariation« brachte: gebratenes Schweinemedaillon, Hähnchenbrust und Lammrücken mit Champignons und Zwiebeln, Lachs und Steinbeißerfilet, Salatteller, Gemüse und Kroketten. Ein mitleidiger Blick streifte Christophs Teller.
    Â»Ich bin glücklich, mit dem, was ich habe«, erklärte er und zeigte auf das hausgemachte Sauerfleisch und die Bratkartoffeln. »Und mit dir«, ergänzte er.

DREIZEHN
    Ãœber Nacht war das Wetter umgeschlagen. Der Himmel war bedeckt. Es war grau, und über dem Beltringharder Koog lag ein leichter Dunstschleier. Auch dieser Sommer war hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Hoffnung auf ein paar schöne Tage konzentrierte sich auf den Herbst.
    In Schobüll wurde die kleine Kolonne, die Richtung Husum fuhr, durch einen Autofahrer ausgebremst, der sich für dreißig Stundenkilometer Reisegeschwindigkeit entschieden hatte, zwischendurch »rasant« auf fünfunddreißig beschleunigte, um auf Höhe der Tankstelle das Tempo wieder auf unter dreißig zu reduzieren. An der Einfahrt zur Tankstelle stoppte er ungeachtet der Schlange hinter sich und schien eine ganze Weile den Entscheidungsprozess reifen zu lassen, bis er sich schließlich doch für einen Zwischenstopp an der Zapfsäule entschied.
    Auf der Dienststelle fand Christoph den Schreibtisch des Oberkommissars wie gewohnt vor. Es sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ermahnungen blieben fruchtlos, selbst Staatsanwaltschaft und Gericht schienen resigniert zu haben. Niemand beklagte sich über die Kaffeeflecken auf den dort vorgelegten Berichten.
    Christoph rief in Kiel bei der Rechtsmedizin an.
    Â»Ich habe gehört, dass die Menschen von der Westküste betulich sind«, sagte Privatdozent Dr. Diether zur Begrüßung. »Da überrascht mich Ihr Drängen.«
    Â»Ich bin Kieler«, erklärte Christoph.
    Â»Was haben Sie sich zuschulden kommen lassen, dass Sie jetzt dort leben müssen?«
    Â»Sind Sie mit Klaus Jürgensen verwandt? Der stellt auch solche Fragen. Es ist eine Auszeichnung, hier leben und arbeiten zu dürfen.«
    Â»Sind Sie sich sicher?«
    Â»Dafür lege ich meine Hand ins Feuer«, erklärte Christoph.
    Â»Hoffentlich fällt Ihnen nicht ein Finger ab wie jener, den Sie uns gestern geschickt haben. Wann kommt der Rest? Ein

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