Das Dorn-Projekt: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 3
Antwort.
Für einen Moment kam die Befragung ins Stocken, und die versammelten Eiferer flüsterten miteinander. Die beiden Vertreter der Vereinigten Kirche warteten geduldig. Geduld gehörte zu den ersten Tugenden, die man sie gelehrt hatte. Für sie war bereits deutlich geworden, dass von diesen jungen Leuten keine Gefahr für Leib und Leben ausging. Sie wollten nur sichergehen, dass das exzentrische Duo nicht menschliche Kinder vom rechten Weg abbrachte und zum Bösen verführte. Briann und Twikanrozex waren in der Lage, damit umzugehen. Die Vereinigte Kirche hatte ihre eigenen festen Vorstellungen über das Böse: Sie war dagegen.
»Wie können Sie nur behaupten, Sie dienten einem höheren Wesen, das aussieht wie das da?!« Die Frau, die als Erste mit Briann und Twikanrozex gesprochen hatte, starrte ohne jedes Schamgefühl den Thranx an. »Dieser Duft allerdings …«
»Gestalt-Chauvinismus ist verabscheuungswürdig, finden Sie nicht?«, fragte Briann. »Klugheit, begleitet von Verständnis und Mitgefühl, ist das Gütesiegel eines spirituellen Wesens. Wir gehen da nicht weiter in Details. Jede Spezies sucht die Antworten auf die letzten Fragen auf ihr eigene Art und Weise. Die Kirche macht nicht den Versuch, diese Antworten zu definieren oder sie zu beschränken.«
»Aber wie«, fragte ein anderer Mann laut, »können Sie dann Trost bieten?« Sein Freund neben ihm wollte ihn unterbrechen, aber der junge Mann, jetzt neugierig geworden, wehrte die Einmischung ab.
Twikanrozex vollführte mit allen vier Händen Gebärden und fragte sich gleichzeitig, ob es ihm jemand gleichtun würde. Keiner aus der Gruppe tat es, aber es fühlte sich auch niemand von Twikanrozex’ Gebärden sichtlich abgestoßen. Das ermutigte den Thranx. »Mitgefühl braucht doch nicht von Glaubenssätzen gestützt zu werden. Schmerz ist eine allumfassende, unveränderliche Größe und dürfte doch wohl von jedem Akt von Fürsorge gelindert werden - ungeachtet der Quelle dieser Fürsorge.«
»Wir brauchen nicht irgendwelchen Hokuspokus zu veranstalten, damit sich jemand besser fühlt«, setzte Briann hinzu.
Einige der weiß Gekleideten schienen bestürzt. »Das ist Blasphemie!«, behauptete eine der Frauen mit Nachdruck.
»Ganz und gar nicht«, versicherte Briann ihr sofort. »Unsere Gemeinschaft braucht keine archaischen Verhaltensmaßregeln, damit sich die Leute schuldig fühlen. Wir laden schließlich schnell und reichlich genug Schuld auf unsere Schultern, einfach im Verlauf unseres Lebens! Das Letzte, was ein empfindungsfähiges Wesen braucht, ist, zusätzliche Schuld von außen zugewiesen zu bekommen. Wie viele von Ihnen hier haben Schuldgefühle, aus welchem Grund auch immer?«
Zuerst war Interesse auf Brianns Frage hin in den Gesichtern zu lesen, doch sie wurde schnell weggewischt von den lauten Worten des jungen Gruppensprechers. »Hören Sie! Hier stellen wir die Fragen, klar? Wir sind diejenigen, die zu entscheiden haben, ob es Ihnen erlaubt sein wird, weiterhin auf dieser Messe zu wirken oder nicht!«
»Zuerst einmal, ciülp«, begann Twikanrozex, »›wirken‹ wir nicht auf dieser Messe. Wir stellen uns niemandem entgegen, wir üben auf niemanden Druck aus, wir picken uns weder Einzelne noch Familien noch Gruppen heraus. Wir beantworten lediglich Fragen, die aus freien Stücken an uns gerichtet werden. Die VK sucht nicht nach Konvertiten. Es gibt auch nichts, wozu die Leute konvertieren könnten! Wir bieten nichts als eine offene Mitgliedschaft an. Die Kirche und alles, was sie zu leisten vermag, stehen allen offen, die interessiert sind.«
»Was geschieht«, forderte eine andere Frau zu erfahren und drängte sich nach vorn, »wenn sich jemand entschließt, Mitglied in Ihrer Kirche zu werden? Was wird mit der bisherigen Religionszugehörigkeit dieser Person?«
»Annamarie!«, erhob der Mann neben ihr warnend die Stimme. Sie ignorierte ihn.
»Was immer Sie möchten, was aus ihr wird.« Briann begann, sich für den Disput zu erwärmen, jetzt, da dieser sich zu einem Gespräch gewandelt hatte und nicht mehr haltlose Anklage war. »Sie können Ihre Religion weiterpraktizieren, wie Sie es taten, bevor Sie sich unserer Gemeinschaft anschlossen. Wir haben Mitglieder in der Vereinigten Kirche, die viele Religionen praktizieren, und Mitglieder, die keiner einzigen Glaubensgemeinschaft angehören. Wir sind in dieser Hinsicht nicht sehr streng.«
»Wie kann jemand zwei Kirchen angehören und mehr als einen Glauben haben?«, bohrte
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