Das Dornenhaus
Diese Wälder sind die Lunge der Erde. Alle Geheimnisse des Lebens sind hier zu finden. Wir haben sie bloß noch nicht alle entdeckt.«
»Ich weiß, was du meinst. Erinnerst du dich an den Busch, das kleine Stück Regenwald bei Amberville, in den du mich damals geführt hast? Als ich das letzte Mal da war, hatte er sich schon verändert. Man hat ein Stück für einen Picknickplatz freigeschlagen und Bäume abgeholzt, um ihn der Öffentlichkeit zugänglicher zu machen und die Flughunde loszuwerden. Der Wald wird sterben. Warum müssen wir ständig alles verändern? Warum können wir manche Dinge nicht einfach hinnehmen, wie sie sind, und sie so lassen?«
»Das ist die menschliche Natur, Odette. Selbst du kannst die Dinge nicht immer hinnehmen, wie sie sind, du willst sie auch manchmal ändern.«
»Was denn zum Beispiel?«
Zac griff nach ihrer Hand. »Mich. Was zwischen uns ist, das ist etwas Besonderes. Aber für dich wird es nie genug sein, weil ich mich nicht ändern werde, um mich deinem Leben oder deiner Welt anzupassen.«
»Aber ich kann mich deiner anpassen«, protestierte Odette.
»Das wäre nicht von Dauer, kleiner Vogel.« Zac drehte ihre Hand um und betrachtete die Handfläche. »Und hier steht, dass du einem anderen Weg folgen wirst als ich.«
»Was bedeutet das?«, fragte Odette mit schwacher Stimme. Sie wusste, dass Zac ihr etwas Wichtiges mitteilen wollte.
»Meine Zigeunerfamilie hat dir gesagt, dass du einen vorbestimmten Weg hast, der dich zum Erfolg führen wird und dem du folgen musst, sonst wirst du enttäuscht und verbittert. Du hast eine Gabe, die du nützen musst. Deine Herzlinie führt dich nach einem kleinen Umweg zum Glück und zurück zu deinen Anfängen.«
»Willst du damit sagen, dass du ein kleiner Umweg bist?«
Er schloss ihre Hand und sah ihr in die Augen. »Ich will dir damit sagen, dass du ein außergewöhnlicher Mensch bist, dass es in meinem Leben nur dich geben wird, aber nicht umgekehrt. Versuch es nicht zu verstehen oder zu hinterfragen, Odette. Es gibt jemanden, der dich glücklich machen wird. Aber das bin nicht ich.«
»Warum nicht, Zac?« Odette begann wie ein kleines Kind zu weinen. »Ich verstehe das nicht. Ich werde nie jemand anderen lieben als dich«, setzte sie trotzig hinzu.
Zac lächelte und strich ihr über das Haar wie ein Vater, der ein kleines Kind nach einem Zornausbruch beruhigt.
»Doch, das wirst du, Odette. Ich war deine erste Liebe, und das ist immer etwas Besonderes. Vergiss das nicht.«
»Du redest so, als sei alles vorbei.« Sie hörte auf zu weinen, war aber von einer unermesslichen Traurigkeit erfüllt.
»Was zwischen uns ist, wird nicht einfach vergehen. Ich werde dir immer nahe sein. Jetzt komm, auf zu Tee und Toast. Lass mich vorausklettern.«
Odette konzentrierte sich auf den Abstieg von ihrem Schlingpflanzengerüst und schaute dabei in das hohle Innere, das einst der Stamm eines uralten und gewaltigen Baumes gewesen war, erdrückt durch Arme, die ihn in tödlicher Umarmung erstickt hatten. Ihr schoss die Frage durch den Kopf, ob es möglich war, so sehr zu lieben, dass man den Geliebten erdrückte.
Als sie mit vor Butter tropfendem Rosinentoast und einer Kanne starkem Tee beim Frühstück saßen, hatte Zac mit seinem Geplauder und einem komischen kleinen Lied, das er ihr leise über die Tisch hinweg vorsang, ihre gute Laune wiederhergestellt.
Während der nächsten Tage schien sich zwar nichts zu ändern, aber Odette merkte, dass sich immer wieder Gedanken an ihr anderes Leben einschlichen, und sie begann sich zu fragen, was wohl in der Außenwelt passierte. Je mehr sie an diese andere Welt dachte, desto mehr wandten sich ihre Gedanken der Zukunft zu. Wohin bewegte sie sich? Wohin kehrte sie zurück?
Das Erlebnis auf dem Berg hatte etwas in ihr geöffnet, und sie erkannte mit großer Klarheit, dass ihre Zukunft Zac nicht mit einschloss. Nicht als Lebenspartner, obwohl zwischen ihnen eine außergewöhnliche Verbindung bestand, doch irgendwo wartete eine andere Liebe auf sie. So schmerzlich es auch war, sie merkte, dass sie Zac loslassen und ihm einen anderen Platz in ihrem Leben zuweisen musste. Sie mochte sich jedoch auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, zu ihrer bisherigen Routine zurückzukehren. Mehr und mehr spürte sie die Verlockung des Reisens. Neue Orte, neue Menschen, neue Umgebungen, neue Herausforderungen. Eine Veränderung würde den Heilungsprozess fördern, entschied sie. Lief sie davon? Nein, sie breitete ihre
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