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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Vielleicht war aber auch Bens Abwesenheit der Grund.
    Woran es auch immer liegen mochte, sie hatte auf jeden Fall das Gefühl, dass ihre Träume für Zanana ihr durch die Finger schlüpften. Kate schloss die Augen und überließ sich dem alten Zauber des indischen Hauses. Langsam glitt sie in eine Welt ohne Licht, ohne Bilder, eine Welt ruhig fließender Gelassenheit.
    Mrs. Butterworth vertraute sich – wie so oft in diesen Tagen – Wally Simpson an. »Sie scheint sich an einem Scheideweg zu befinden, Wally. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann. Ich nehme an, sie wird schon zu gegebener Zeit ihre Entscheidung treffen.«
    »Oder jemand anderes wird sie für sie treffen«, erwiderte Wally.
    »Was meinst du damit? Kate ist sehr unabhängig, sie lässt sich von niemandem sagen, was sie zu tun hat.«
    »Ich meine nicht so sehr, sich bestimmen lassen, als sich beeinflussen lassen. Du weißt, wie sich das Schicksal oft einmischt. Lass sie in Ruhe, Gladys, und warte ab, was passiert. Sie ist nicht unglücklich, nur im Moment ein wenig ziellos.«
    Gladys Butterworth seufzte. Wie Recht er hatte. Wenn sie zurückschaute, war der Verlauf ihres eigenen Leben durchaus von dem abgewichen, was wie ein vorgegebener Kurs ausgesehen hatte. Als Harold und sie von Bangalow nach Zanana gezogen waren, hatte sie sich vorgestellt, dass sie bis zum Ende ihrer Tage dort bleiben und für die MacIntyres sorgen würden. Dann waren Catherine und Robert gestorben. Der Krieg war ausgebrochen. Harold war gefallen. Und nun irrte Kate, ein Mädchen, das eigentlich alles haben sollte, wie ein unruhiger Schatten durch die weitläufigen Gärten und die leeren Räume einer Villa, gebaut als Zufluchtsort für eine Frau – ihre Mutter –, die über alles geliebt worden war und nie einsam gewesen war.
    Kate schlief bis zum späten Nachmittag im indischen Haus. Sie wurde nur langsam wach. Als sie wieder ganz bei sich war, merkte sie, dass sich etwas verändert hatte. Sie fühlte sich sehr ruhig, vollkommen entspannt. Dann erkannte sie, was anders geworden war – sie war frei von dem Wirrwarr der Gedanken, die sie am Morgen dieses Tages ständig im Kreis herum geführt hatten. Ihr Geist war zur Ruhe gekommen.
    Draußen keckerte eine Elster, und als hätte dieses Geräusch sie endgültig wach gemacht, setzte Kate sich auf. Sie blieb auf dem Rand des alten, reich geschmückten Bettes sitzen und staunte im Stillen über die Klarheit ihrer Gedanken. Sie war sich einer wunderbaren inneren Stärke bewusst, die, während sie eingehüllt in den warmen Schimmer des Raumes saß, zu einem Gefühl großer Entschlossenheit und einer sicheren Gewissheit der einzuschlagenden Richtung anwuchs. Sie fühlte sich nicht mehr verloren. Der vor ihr liegende Weg war deutlich sichtbar – es war Zeit, ihr Erbe einzufordern und die Zügel für Zanana ganz in die Hand zu nehmen.
    Es war, als hätte sie ein neues Identitätsgefühl bekommen, sie glaubte endlich zu wissen, wer sie wirklich war, wo sie herkam und wer sie in Zukunft sein musste. Es war zwecklos, erkannte sie mit Erleichterung, vorzugeben, jemand anderes zu sein, nur weil andere sich aufgrund ihres Erbes Vorstellungen von ihrer Person machten. Stattdessen wusste sie jetzt die bescheidene Herkunft ihrer Eltern mehr zu schätzen, die einfachen und aufrichtigen Wertmaßstäbe ihrer Pflegeeltern – Gladys und Harold und jetzt Wally – und den enormen Einfluss, den der Besitz von Zanana auf ihre eigenen Wertmaßstäbe und ihre Lebenseinstellung hatte.
    Sie ging zur Tür und schaute in die Sonne, die golden hinter dem Rosengarten versank. »Ende des Tages, Ende des Kapitels«, dachte sie. Aber das Kapitel hatte in Wirklichkeit schon vor Monaten geendet, als sie ihren einundzwanzigsten Geburtstag feierte – sie hatte damals nur einfach die volle Bedeutung ihrer Entscheidung nicht erkannt.
    Kate hatte den Vorschlag abgelehnt, diesen Tag im Kreise der ›besseren‹ Gesellschaft von Sydney zu feiern. Stattdessen hatte sie darauf bestanden, ein Fest für alle Bewohner von Zanana zu geben – für die Angestellten und die Veteranen. Hock Lee war aus der Stadt gekommen und hatte den Vorsitz über den formellen Teil übernommen. Der Tag endete mit einem großartigen Feuerwerk, das für kurze Zeit Zanana in alter Pracht und Herrlichkeit erstrahlen ließ.
    Kate hatte das Fest überaus genossen, auch wenn Ben nicht da gewesen war. Hock Lee hatte eine Rede gehalten, in der er verkündete, dass Kate nun volljährig sei

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