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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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gelassen haben. Nimm meine Hand.«
    Stolpernd führte der Junge Odette zurück in die Waschküche. Er legte den Finger auf die Lippen und lauschte, dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Lauf los. Ich geh durch das Gewächshaus zurück. Hoffentlich sieht er mich nicht.«
    Odette nickte, trat hinaus ins Tageslicht und rannte durch den Terrassengarten in die Sicherheit des Bambushains. Schwer atmend wartete sie ein paar Minuten und lauschte auf Rufe oder Schritte, die sie verfolgten.
    Alles war ruhig bis auf das raschelnde Knacken des Bambus. Sie zögerte, dann fasste sie Mut, lief zurück durch den Bambus und über die unterste Terrasse zum Rosengarten. Ohne auf die Dornen zu achten, brach sie sechs langstielige gelbe Rosen ab. Sie waren kurz vor dem Verblühen, und ein Schauer von Rosenblättern regnete vom Busch herab, während sie an den Stängeln zerrte.
    Auf Zehenspitzen lief sie über den knarrenden Steg, kletterte ins Boot, legte die Rosen auf den Sitz und ruderte vorsichtig und so leise sie konnte den Fluss hinunter, hielt sich so nahe wie möglich am Ufer und verfluchte die quietschenden Ruder.
    Während der folgenden Wochen besuchte Odette Zanana immer wieder. Manchmal traf sie den Sohn des Verwalters, sonst spielte sie allein auf dem Grundstück, dabei prägte sie sich jeden Zentimeter davon ein. Sie war zu ängstlich, allein in eines der Gebäude zu gehen – bis auf das indische Haus. Ausgestreckt auf dem seltsamen Himmelbett, erlebte sie ein Gefühl der Ruhe und Vertrautheit. Es war ein Ort, an dem die Zeit stillstand, während sie vor sich hin träumte, und alle Träume schienen möglich.
    Wenn sie auf den Jungen traf, gingen sie zusammen ins Haus, in die Ställe, das Torhaus und den Wagenschuppen. Hier hielt er sich am liebsten auf, denn da standen mehrere alte Autos aufgebockt, staubig, aber in guter Verfassung. Vorsichtig kletterten sie in ein Daimler Cabriolet und wechselten sich hinter dem Steuer ab.
    Ihre Treffen fanden stets zufällig statt, weil Odette sich nicht in die Nähe des Verwalterhauses traute, damit sein Vater sie nicht entdeckte. Sie konnten sich auch nicht verabreden, denn Odette wusste nie, wann ihr erlaubt wurde, das Ruderboot zu benutzen.
    Wenn sie zusammen spielten, sprachen sie wenig über ihr Leben außerhalb von Zanana. Das hier war ihre geheime Welt, in der sie auf Entdeckungsreisen gingen und Abenteuer erlebten. Traf sie Dean bei ihren Besuchen nicht an, spielte Odette allein und ging in ihren Träumen und Phantasien auf, die ihrem lebhaften Vorstellungsvermögen entsprangen.
     
    Odette richtete sich auf und streckte sich. Sie hatte an ihrem Schreibtisch über ein altes Schulheft gebeugt gesessen und für den Englischunterricht einen Aufsatz über Zanana geschrieben. Die Erinnerung an die schönen Räume, die immer noch einen Hauch von Vornehmheit aufwiesen, verfolgte sie. Sie schlenderte hinunter in die Küche, wo ihr Vater und ihre Mutter am Tisch saßen und Angelschnüre und Haken sortierten.
    »Möchtest du Kekse und Tee, Detty?«
    »Ich glaub schon. Wenn der Tee fertig ist. Was macht ihr da?«
    »Morgen Nachmittag gehen deine Mutter und ich angeln.«
    »Aber doch nicht mit dem Ruderboot, oder?«
    »Natürlich mit dem Boot. Wie sollen wir denn sonst angeln? Du weißt, dass wir ein paar Lieblingsangelplätze im Fluss haben. Warum, Liebes, wolltest du das Boot benutzen?«
    »Na ja … vielleicht … ich bin es leid, hier drinnen eingesperrt zu sein.«
    »Fahr mit dem Fahrrad irgendwohin«, schlug ihr Vater vor. »Wir würden dich ja gerne mitnehmen, aber du weißt, wie klein das Boot ist, und du langweilst dich beim Angeln doch immer nach spätestens einer Stunde.«
    »Nur wenn ich nichts fange. Ich kann einfach nicht so lange stillsitzen wie ihr.« Aber Odettes Laune hob sich. Vielleicht konnte sie nach Zanana radeln und eine Möglichkeit finden, auf das Grundstück zu gelangen. Sie wusste, dass das Haupttor abgeschlossen war, aber sie konnte es zumindest probieren.
    »Bist du sicher, dass es nicht wieder regnen wird, Dad? Die Wolken ziehen sich zusammen.«
    »Die Wetterfrösche sagen nein. Obwohl man sich nicht immer auf sie verlassen kann. Aber deine Mum und ich fühlen uns genau wie du – eingesperrt. Ich nehme mir den Nachmittag frei, hab genug Überstunden gemacht.«
    Ihre Eltern lächelten sich an, und Odette fühlte sich plötzlich ausgeschlossen. Sie war ein spätes Geschenk im Leben von Ralph und Sheila Barber gewesen, als sie sich schon resigniert darauf

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