Das Dornenhaus
alte Villa am Fluss. Sie sehnte sich danach, zurückzukehren und mit dem Sohn des Verwalters auf Entdeckungstour zu gehen. Sie war so eilig weggerudert, dass sie gar nicht dazu gekommen war, Rosen für ihre Mutter zu pflücken.
Am nächsten Tag, einem Freitag, war strahlendes Wetter, alles sah nach dem Regen wie frisch gewaschen aus. Odette rannte von der Schule nach Hause, zog sich rasch etwas Altes an und rief ihrer Mutter zu, dass sie rudern gehen würde.
»Bleib hier in der Nähe, Detty. Dass du mir ja nicht wieder zu dem alten Haus am Fluss gehst«, rief ihre Mutter ihr aus dem Garten hinter dem Haus zu, wo sie Wäsche von der Leine nahm.
Odette schloss die Haustür und tat so, als hätte sie nichts gehört. Sie fand es schrecklich, ihre Mutter zu hintergehen, also redete sie sich ein, dass sie ja nicht wirklich ungehorsam war, da sie die Mahnung nicht richtig gehört hatte. Aber die Faszination des mysteriösen Hauses und der Gärten und die Aussicht, mehr davon zu entdecken, waren einfach zu verlockend.
Der Junge kam aus dem Bambusdickicht, als sie über den Anlegesteg hüpfte. Sie begrüßten sich schüchtern.
»Ich kann nicht lange bleiben, weil ich meinem Vater helfen muss«, sagte Dean.
»Meine Eltern wollen auch nicht, dass ich hierher komme. Sie denken, es sei gefährlich. Wenn mir hier nämlich was passiert, würde niemand wissen, wo ich bin. Ich hab ihnen nichts von dir erzählt.«
»Das ist gut. Aber keine Bange, hier passiert dir nichts. Und du bist ja auch nicht alleine.« Sie grinsten sich verschwörerisch an.
»Ich glaube, ich weiß, wie wir ins Haus kommen können«, fügte er hinzu.
»Aber kein Einbruch!«, entfuhr es Odette.
»Nein, es ist doch kein Einbruch, wenn eine Tür offen ist, oder?«
»Eigentlich nicht. Gut, lass uns erst mal sehen.«
Odette war ein bisschen zögerlich, aber Dean führte sie zurück zu dem großen weißen Haus, an dem die Farbe abblätterte. Sie gingen zur Rückseite, vorbei am Gewächshaus zur Küchentür. Sie war verschlossen, doch eine kaputte Drahtgittertür führte in die große, dunkle Waschküche. Eiserne Waschkessel standen an der Wand neben einem geschwärzten Kupferkessel über einer gemauerten Feuerstelle. Borde und Schränke waren dick verstaubt, und in einer Ecke hing eine Tür an zerbrochenen Angeln.
»Ist das die Speisekammer oder ein Schrank?«, fragte Odette, als der Junge die Tür aufzog.
»Da geht es in den Keller.« Eine Treppe führte in die Dunkelheit hinab. »Ich war unten und hab mich umgesehen, wir können von da aus in die Küche gelangen. Machst du mit?«
Odette nickte. »Ja … es sieht zum Fürchten aus und so dunkel. Bist du ins Haus gegangen?«
Er lächelte, zog eine kleine Taschenlampe aus der Tasche und knipste sie an. »Nein, ich wollte auf dich warten, damit wir es uns gemeinsam ansehen können. Ich geh voran.« Er wollte nicht zugeben, dass er zu ängstlich gewesen war, das Haus allein zu betreten.
Im Schein der Taschenlampe gingen sie die Steintreppe hinab. Es roch muffig, und Dean musste immer wieder Spinnweben wegstreifen, die ihm ins Gesicht hingen.
»Ich bin froh, dass du vorangehst«, kicherte Odette nervös.
Am Fuße der Treppe ließ der Junge den Strahl der Taschenlampe durch den kleinen gemauerten Raum wandern. Reihen von Holzregalen, die einst Weinflaschen beherbergt hatten, reichten bis an die Decke hinauf. Mehrere große Holzkisten, auf die »Penfolds Co.« aufgestempelt war, lagen auf der Seite, und ein schwacher süßlicher Geruch erfüllte die Luft.
»Komm weiter. Hier entlang.« Der Junge folgte einem schmalen Gang hinter den Regalen zu einer kleinen Holztür. Mit einem kräftigen Ruck öffnete er sie. »Diese Treppe führt hinauf in die Küche.«
Die Treppe war schmal und steil, und an ihrem Ende befand sich eine weitere Tür, die sich leicht öffnen ließ. Sie betraten die Küche, in der es einen Arbeitsbereich und eine Speisekammer gab.
»Die ist ja größer als unser ganzes Haus«, staunte Odette.
Ihre Schuhe hinterließen Trittspuren im dicken Staub auf den schwarz-weißen Fliesen. Auf dem großen Heizofen, der in die Wand eingebaut war, standen rostige Töpfe. Wo einst ein kleiner gusseiserner Ofen gestanden hatte, war später ein Gasherd installiert worden. Küchengeräte aus der Nachkriegszeit hingen neben edwardianischen Küchenutensilien.
Neugierig öffnete Odette nun die Türen eines großen Schranks und rief: »Schau mal, da stehen immer noch Lebensmittel.« Sie betrachtete die
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