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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Schreibtisch beim Fenster setzte und in einen naturbelassenen Garten mit verstreut herumliegendem Kinderspielzeug und Blumenübertöpfen schaute, die ihre esoterischen Freunde getöpfert hatten. »Was ist denn passiert, Hannah?«, fragte sie.
    »Gestern bei der Arbeit habe ich Ellen Brecht gesehen«, sagte ich.
    »Ach ja«, sagte Julia, als wäre nichts Ungewöhnliches daran. Ich fragte mich, ob sie sich an Details meines Falles erinnerte oder nur an vage Umrisse, anhand derer sie meine psychische Störung im Geiste zusammensetzen konnte. So wie wenn ich das Skelett des Tyrannosaurus rex betrachtete, der an der Museumsdecke hing, und vor meinen Augen eine Kreatur aus Fleisch und Blut wiederauferstand. Wahrscheinlich überflog sie rasch die Einträge in meiner Datei, um ihr Gedächtnis aufzufrischen. »Waren Sie allein, oder war jemand bei Ihnen?«
    »Es waren viele Besucher da. Es war im Museum, in einem der Ausstellungsbereiche. Sie – also Ellen – stand mitten unter den anderen Besuchern.«
    »Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?«
    »Ich hatte Angst«, sagte ich, aber dieses Wort beschrieb auch nicht annähernd die tiefe Furcht, die ich verspürt hatte und die mir noch immer in den Knochen saß. »Sie schien so wirklich«, fuhr ich fort. »Draußen hat es geregnet, und ihr Haar war nass. Alles an ihr war so real.«
    »Sie sind sehr gut darin, sich selbst zu täuschen, Hannah«, sagte Julia sanft. »Das wissen wir beide ja. Und was ist dann geschehen?«
    »Ich hatte eine Panikattacke.«
    »Ich verstehe.«
    »Danach hat mich eine Kollegin nach Hause gefahren, aber ich bin äußerst beunruhigt. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich denke immerzu an Ellen. Was, wenn sie zurückgekommen ist, Julia? Was, wenn das, was schon einmal passiert ist, wieder geschieht und ich sie immer wieder sehe, egal, wo ich bin? Was, wenn sie wieder die ganze Zeit in meinem Kopf ist? Was soll ich nur tun, Julia? Ich glaube nicht, dass ich all das ein zweites Mal durchstehe, ganz bestimmt nicht.«
    Julia antwortete mir mit ruhiger, leiser Stimme. »Gut, Hannah, lauter ›Was wenn?‹. So viele Hürden, aber wir werden sie eine nach der anderen überspringen. Ein Schreckensmoment bedeutet noch lange keinen Zusammenbruch, genauso wenig, wie eine Schwalbe einen Sommer macht.«
    »Nein«, sagte ich, aber ich dachte daran, wie wirklich mir Ellen vorgekommen war und so präsent, dass ich sie für einen Menschen aus Fleisch und Blut gehalten hatte.
    Julia fragte: »Wie ist es Ihnen sonst so ergangen, ich meine vor diesem Zwischenfall?«
    »Gut, danke.«
    »Also ist Ihr Leben ruhig verlaufen? Essen Sie gut? Und treiben Sie Sport?«
    »Ja.«
    »Und wie ist es mit dem Schlafen?«
    »Mal so, mal so.«
    »Fühlen Sie sich gestresst? Oder verängstigt?«
    »Nicht wirklich. Erst seit gestern wieder.«
    Ich atmete tief ein und lehnte den Kopf an die Wand. Lily strich mir um die Beine.
    »Okaaayyy …« Ich hörte, wie Julia mit den Fingerspitzen auf den Schreibtisch trommelte. »Hören Sie, Hannah, ich glaube nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen. Dieser Zwischenfall, auch wenn ich mir vorstellen kann, wie unangenehm und beängstigend er für Sie gewesen sein muss, war wahrscheinlich ein Flashback. Jedem von uns kann das passieren.«
    Ich schloss die Augen. »Es hat sich nicht wie ein Flashback angefühlt. Sie war so deutlich und so real und …«
    Julia unterbrach mich. »So haben Sie letztes Mal Ihre Halluzinationen beschrieben, Hannah. Auch die fühlten sich für Sie völlig real an, aber genau das macht sie ja zu einem solch beängstigenden Erlebnis.«
    »Ja.«
    »Lassen Sie uns erst mal abwarten und hoffen, dass es nicht wieder passiert. Aber falls doch, müssen Sie mir versprechen, Ruhe zu bewahren – erinnern Sie sich an die Atemübungen?«
    »Ja.«
    »Machen Sie sie. Und lassen Sie uns in Kontakt bleiben. Ich möchte, dass wir im Lauf der nächsten Woche – oder auch länger, wenn nötig – mindestens jeden zweiten Tag miteinander reden. Oder rufen Sie an, wann immer Sie das Bedürfnis haben, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, okay?«
    Ich hob die Katze hoch und hielt sie nah an mein Gesicht. Ich konnte ihren Herzschlag unter meinen Fingern spüren. »Danke, Julia«, sagte ich. »Das werde ich.«

ZWÖLF

    W ährend Jago, Ellen und ich langsam erwachsen wurden, verschlimmerte sich die Situation in der Cross Hands Lane Nummer 10 zusehends. Die Cardells stritten sich immer öfter und heftiger, bis Mrs   Cardell eines

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