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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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drehte die Handfläche mit dem Öl um und legte sie auf ihren Rücken. Ihre Haut war erschreckend heiß. Während ich das Öl auf ihrem Rücken verteilte, spürte ich ihre Wirbel und Rippen.
    Ellen atmete tief ein und mit einem wohligen Seufzer wieder aus, dabei hob und senkte sich ihr Rücken.
    Mit meiner ölfreien Hand schob ich vorsichtig Ellens Haar zur Seite, während ich ihre Schultern und Oberarme einölte. Dann tippte ich sie sanft an, um ihr zu bedeuten, dass ich fertig war.
    »Danke.« Ellen zwinkerte mir von unten herauf zu.
    Unter dem eng anliegenden Badeanzug zeichneten sich die Umrisse ihre Pos ab. Beim Anblick der geschwungenen Linie von Ellens Oberschenkel und der Wölbung auf der Innenseite hätte ich am liebsten in sie hineingebissen, so wie ich als kleines Mädchen in die Plastikarme meiner Puppen gebissen hatte. Aber stattdessen streckte ich mich neben meiner Freundin aus.
    »Wie geht es deiner Mama?«, fragte ich.
    Ellen kräuselte die Nase. »Schlecht. Sie wird vielleicht eine Zeit lang in ein Heim müssen.«
    »In was für ein Heim?«
    »Keine Ahnung. In ein Heim, wo man sich um Menschen wie sie kümmert.«
    »Sie ist doch noch nicht alt.«
    »Aber sie hat immerzu Schmerzen. Manchmal …«
    »Was?«
    »Manchmal, wenn sie glaubt, dass niemand in der Nähe ist, höre ich sie weinen.«
    Ich schauderte. Noch nie hatte ich meine Mutter oder meinen Vater weinen sehen. Ich hätte nicht gewusst, was ich sagen oder tun sollte, wenn es passierte.
    Ellen gähnte. »Das Einzige, was ihr Freude bereitet, ist der Garten. Ich glaube, am liebsten ist es ihr, wenn Papa nicht da ist und sie die ganze Zeit im Freien sein kann. Adam lässt sie tun, was sie will, aber Papa geht ihr auf die Nerven, weil er zu viel Aufhebens um ihre Krankheit macht.«
    »Sie ist doch nicht ernsthaft krank, oder?«, fragte ich.
    »Du meinst, ob sie sterben muss?«
    »Nein, so habe ich es nicht gemeint«, beeilte ich mich zu sagen, obwohl es natürlich darauf hinauslief.
    »Ich weiß nicht. Manchmal wird sie irgendwie … ganz komisch.«
    Mit der Fingerspitze bewegte ich einen kleinen gelben Kieselstein.
    »Wie – komisch?«
    »Sie ist dann weit weg. Als wäre sie schon an einem anderen Ort.«
    Ich sah Ellen an und bemerkte, dass ihre Augen glasig waren.
    »Manchmal …«, fuhr Ellen fort, »manchmal glaube ich, sie …«
    »Was, Ellen?«
    »Ich glaube, sie denkt, es wäre besser, wenn sie sterben würde.«
    »Du solltest solche Dinge nicht sagen, Ellen.«
    »Aber wenn es doch wahr ist!«
    »Nein, ist es nicht. Du sagst immer solches Zeug, musst immer alles aufbauschen und aus allem ein Drama machen!«
    »Tu ich nicht! Ich will ja nicht, dass sie stirbt!«
    »Und ich wette, sie will es auch nicht! Wenn man tot ist, kann man ja nicht glücklich sein. Tot sein bedeutet das Ende, also sag so was erst gar nicht.«
    Ellen verfiel in Schweigen. Ich nahm an, sie hätte eingesehen, dass sie zu weit gegangen war.
    Nachdem wir beide eine Weile unbehaglich schweigend nebeneinandergelegen hatten, sagte sie: »Du hast Tausende Sommersprossen. Das sieht hübsch aus.«
    Sie grinste und kitzelte mich mit einem Meerfenchelstängel an der Nase. Ich lächelte ebenfalls und schob den Stängel weg.
    »Fast so viele wie Jago!«, sagte sie. »Ihr seid wirklich wie Bruder und Schwester. Fast wie Zwillinge. Vielleicht seid ihr das ja tatsächlich. Vielleicht wurdet ihr bei der Geburt getrennt.«
    »Kann gar nicht sein, schließlich ist er zwei Jahre älter als ich.«
    »Dem Krankenhaus ist vielleicht ein Fehler unterlaufen, und sie haben ihn den falschen Eltern gegeben. Oder dich!«
    »Wir sind einander gar nicht ähnlich!«
    »Doch, und ob.«
    »Ach, halt die Klappe«, sagte ich lachend. Ich stützte mich auf die Ellbogen, sodass mein Schatten auf Ellens Gesicht fiel.
    »Du hast echt Glück«, sagte Ellen. Dann setzte sie ein versonnenes Lächeln auf, wie immer wenn sie in nachdenklicher Stimmung war. Ihre Zähne schimmerten weiß in ihrem gebräunten Gesicht. Dunkle Haarsträhnen wehten ihr um die blaugrauen Augen. Ich konnte mein Spiegelbild darin erkennen. Es gefiel mir, wie sich mein Gesicht in Ellens Augen spiegelte. Plötzlich wurde ich von einem Gefühl der Liebe überwältigt. Am liebsten hätte ich die Arme um sie gelegt und sie fest an mich gedrückt. Das Gefühl war so stark, dass meine Augen zu brennen begannen und ich mir auf die Unterlippe beißen musste, um die Tränen zurückzuhalten.
    Ellen bemerkte es nicht.
    »Wie spät ist es?«,

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