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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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die Wahrheit sagen müssen, Liebste.«
    »Aber wie nur, Becky? Wie soll ich es ihm erklären?«
    »Du bist nicht die Erste und wirst auch nicht die Letzte sein, der so etwas passiert. Du hast jemand anderen kennengelernt und dich verliebt. Du wolltest das nicht, aber nun ist es geschehen, und du willst dich von deinem Mann trennen.«
    »Das klingt grausam …«
    »Aber es ist die Wahrheit. John wird verletzt sein, natürlich, aber er wird es früher oder später verstehen. Und du wirst dich besser fühlen, wenn du reinen Tisch gemacht hast.«
    »Ich will ihn nicht verletzen.«
    »Charlie, Schätzchen, wenn du es ihm erst in ein paar Wochen sagst, wird er nicht weniger verletzt sein. Du schiebst den Moment der Wahrheit einfach nur hinaus.«
    Becky küsste Charlotte auf die Schläfe. »Ich bedränge dich nur so, weil ich deine Freundin bin!«, sagte sie. Sie ließ Charlotte los und fischte das Portemonnaie aus ihrer Handtasche. »Ich lade dich ein. Was nimmst du?«
    Charlotte drehte sich zu der Tafel um, die an der Wand neben mir hing, und ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte. Einen Moment lang sahen wir uns direkt in die Augen. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht.
    »Oh«, sagte sie und brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. »Hallo, Hannah.«
    »Hallo.«
    Charlotte spielte nervös mit ihrem Armband.
    »Becky«, sagte sie, »das ist Hannah, eine Kollegin von John. Sie hat gestern Abend, als ich Chorprobe hatte, mit ihm zu Abend gegessen.«
    Becky drehte sich ebenfalls um und nickte mir lächelnd zu. Sie hatte den Hinweis verstanden, dass sie Charlottes Alibi bestätigen sollte.
    »Die Pasteten, die sie hier machen, sind köstlich, nicht wahr?«, schwatzte Charlotte weiter. »Ganz besonders liebe ich die Spinat- und Feta-Quiche. Hast du die mal probiert, Hannah? Das solltest du unbedingt!«
    Ich war zu wütend, um ihr Lächeln zu erwidern. Charlotte blinzelte nervös. Der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wusste genau, dass ich ihr Gespräch mitbekommen hatte.
    Da nur ein junger Mann bediente, hatte sich vor der Ladentheke eine lange Schlange gebildet, und vor uns standen noch ein paar Kunden. Die Aussicht, einige weitere Minuten hier zu stehen und Small Talk mit Charlotte machen zu müssen, war mir unerträglich.
    »Ich muss gehen«, sagte ich. »Ich hatte ganz vergessen, dass ich gleich einen Termin habe.«
    »Schön, dass wir uns getroffen haben …«, sagte Charlotte mit bebender Stimme.
    Als ich mich umdrehen wollte, hielt sie mich am Arm fest. »Hannah …?«
    »Das geht mich nichts an«, erwiderte ich und schüttelte ihre Hand ab. Ich schob mich, eine Entschuldigung murmelnd, an der Schlange vorbei und zur Tür hinaus. Dann ging ich rasch und mit gerötetem Gesicht wieder die Straße hinunter. Ich wünschte, ich hätte das Gespräch nicht mitbekommen. Aber nun wusste ich, dass John von seiner Frau betrogen wurde. Und die Tatsache, dass ich unfreiwillig zu ihrer Komplizin geworden war, weil sie mich quasi zwang, ihre Lüge zu decken, bereitete mir Schuldgefühle, als stünde ich auf einer Stufe mit dieser lügnerischen und ehebrecherischen Frau.

SECHZEHN

    S obald wir alt genug waren, suchten Ellen und ich uns einen Aushilfsjob in Polrack, einem großen Hafenort in der Nähe von Trethene, der an einem Hügel lag. Polrack war der einzige Ort in unserem Teil Cornwalls, den man halbwegs als Kleinstadt bezeichnen konnte. Ellen fand eine Anstellung bei einer italienischen Familie, die eine kleine Eisdiele oberhalb des idyllischen Parks betrieb, wo sie hausgemachtes Eis verkaufte. Und ich arbeitete als Zimmermädchen, Küchenhilfe und Kellnerin, also als Mädchen für alles, im Seagull Hotel.
    Die Tourismusbranche war saisonabhängig. Im Winter hatte die Eisdiele nur an den Wochenenden geöffnet. Und ich wurde im Hotel nur zu den Gelegenheiten gebraucht, wenn eine Veranstaltung stattfand, zum Beispiel eine Geburtstagsfeier, Hochzeit oder eine Trauerfeier nach einer Beerdigung. Leichenschmaus. Es war also reiner Zufall, als sich Ellen und Jago an einem Wintertag in dem Café in Polrack begegneten. Seit Jago vor etwas mehr als einem Jahr die Schule verlassen hatte, hatten sie einander nicht mehr gesehen. In diesem einen Jahr hatten wir uns alle sehr verändert – wir waren keine Kinder mehr.
    Ellen und ich saßen im Café und aßen dampfend heiße Käsezwiebelpasteten. Es war ein stürmischer Tag. Dunkle, bedrohliche Wolken hingen tief über der Halbinsel, und die Wellen klatschten gegen die

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