Das Dornenhaus
hindurch.
»Jago, kannst du bitte damit aufhören?«
»Womit?«
»Mit deiner Trommelei. Das stört mich.«
Mum, die an der Spüle Tomaten enthäutete, schaute über die Schulter zu uns.
»Lass Hannah in Ruhe, Jago, sie muss lernen.«
»Ich verstehe nicht, wie ihr einfach so weitermachen könnt, als ob nichts wäre, obwohl Ellen mit ihrem gestörten Vater in Deutschland ist«, sagte Jago.
Mum seufzte. »Ende des Monats werden sie zurückkommen«, sagte sie, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben. »Nach allem, was man hört, geht es Mr Brecht jetzt besser. Seine Schwester wird mit hierherkommen und sich um ihn kümmern.«
»Woher weißt du das?«
»Mrs Todd hat wieder einen Brief geschrieben. Sie hat mich gebeten, das Haus vorzubereiten.«
EINUNDVIERZIG
W eil Rina Geburtstag hatte, gingen wir alle nach der Arbeit ins Hope and Anchor, wie immer, wenn es etwas zu feiern gab. Wir standen dicht an dicht um ein paar Tische in dem kleinen terrassenförmig angelegten Garten herum und tranken Cidre und knabberten Chips aus Tüten, die auf den Tischen verteilt lagen. Ich wurde von Betty Tralisk, einer jungen, ernsten Historikern, in ein Gespräch verwickelt, die über Radscha Ram Mohan Roy forschte, der als geistiger Vater des modernen Indiens galt. Durch eine merkwürdige Laune des Schicksals hatte es ihn nach Bristol verschlagen, wo er einer Meningitis erlag und auf dem Arnos Vale Cemetery begraben wurde. Betty wollte gern zu Ehren des Radscha eine Ausstellung im Museum organisieren und schlug vor, dass man sie über das Bildungsbudget finanzieren könne. Sie wollte wissen, was ich davon hielt. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich nippte an meinem Orangensaft und nickte von Zeit zu Zeit, war aber mit meinen Gedanken woanders. Mit einem Mal bemerkte ich, dass Betty mich erwartungsvoll ansah – offensichtlich erwartete sie eine Antwort von mir.
»Ja«, sagte ich schließlich aufs Geratewohl, »ja, ich bin ganz deiner Meinung.«
»Danke«, sagte Betty. »Also wirst du die Angelegenheit beim Kuratorium zur Sprache bringen?«
Ich nickte, und als ich den Blick durch den Garten schweifen ließ, fing John ihn zufälligerweise auf und lächelte. Charlotte stand in seiner Nähe und lachte über einen Scherz, den jemand gemacht hatte. Dabei warf sie den Kopf in den Nacken, und ich sah ihr Profil. Die geschwungene Linie ihres Halses hob sich gegen den hellen Himmel ab.
Sie hatte John also noch nicht die Wahrheit gesagt. Sie hatte ihn noch nicht verlassen. Sie liebte jemand anderen, hatte vor, von zu Hause auszuziehen, und John war noch immer völlig ahnungslos.
Ich konnte Charlottes Anblick nicht ertragen und wandte das Gesicht ab.
Wie brachte sie es fertig, John in den Pub zu begleiten, mit seinen Kollegen und Freunden zu plaudern und zu scherzen, obwohl sie ihn betrog? Ich umklammerte mein Glas und kämpfte gegen die aufsteigende Wut an.
»Hannah!«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Es war Rina.
»Prost!«, sagte sie und hob ihr Glas. Ich stieß mit ihr an. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
»Endlich komme ich dazu, es dir zu sagen«, sagte sie. »Ich wollte es eigentlich schon früher tun, habe es aber in dem Trubel wieder vergessen. Nachdem du gestern nach Hause gegangen warst, hattest du noch Besuch. Eine hübsche Frau, Rastalocken, bunte Kleidung. Lippen-Piercing. Du warst mit ihr zum Mittagessen verabredet.«
»Julia! O Rina, das habe ich völlig vergessen.«
»Das war mir klar. Aber sie schien es dir nicht übelzunehmen.«
»Hast du …« Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Hast du ihr erzählt, was passiert ist?«
»Ein bisschen was. Sie schien ziemlich besorgt zu sein.«
»Mist, verzeih den Ausdruck, Rina, aber das ist wirklich ärgerlich.« Ich konnte nicht glauben, dass ich die Verabredung vergessen hatte, und war wütend auf mich. Ich hatte mich darauf gefreut, Julia zu treffen, und musste, wollte unbedingt mit ihr reden, und doch hatte ich diese Gelegenheit verpasst. Verwirrung war eines der vier Hauptsymptome einer Psychose, wie ich wusste, zusammen mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen und mangelnder Einsicht. Großartig, Hannah, dachte ich, drei der vier Anzeichen machen sich schon bemerkbar. Wenn nicht gar alle vier.
Ich fischte mein Handy aus der Tasche. Es war ausgeschaltet, und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das getan hatte. Als ich es wieder einschaltete, piepte es. Es waren mehrere SMS und Benachrichtigungen über verpasste Anrufe
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