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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Turney
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Ellen ihr Erbe bekommt, können wir tun und lassen, was wir wollen.«
    Ich trocknete mir die Augen.
    »Und was ich will, ist dir völlig egal?«
    Jago lachte mich aus.
    Meine Mutter brauchte mich nur kurz anzuschauen, um zu wissen, was mit mir los war. Sie sagte: »Wir sollten dich schleunigst wieder auf die Beine bringen, bevor dein Vater nach Hause kommt, denn sonst könnte es Ärger geben. Geh und lass ihr ein Bad einlaufen, Jago.«
    Sie half mir, mich an den Küchentisch zu setzen, legte eine Decke um meine Schultern und gab mir ein Glas kaltes Wasser zu trinken. Mir war erneut übel. In meinem Kopf hämmerte es.
    »Was, um Himmels willen, ist passiert, dass du dich so betrinkst?«, fragte Mum.
    »Sie hat ihre Prüfungen vermasselt«, sagte Jago. »Sie hat Angst, dass sie nicht auf die Universität kann.«
    »Das ist alles? Aber das ist doch kein Grund, sich so zu benehmen, Hannah.«
    Ich nickte unglücklich.
    »Ich bin auch nie zur Universität gegangen, und dein Vater auch nicht, und trotzdem kommen wir gut zurecht.«
    Ich schniefte. Mir war, als kämen die Wände des Cottages auf mich zu, und ich bekam kaum Luft. Ich fühlte mich wie Alice im Wunderland, nachdem sie den Wachstumstrank zu sich genommen hatte.
    »Aber ich will Paläontologin werden«, sagte ich. »Und dafür muss man an einer Universität studieren, einen anderen Weg gibt es nicht.«
    »Es gibt immer einen anderen Weg«, erwiderte Mum. »Du könntest zum Beispiel ein Geschäft eröffnen oder ein Buch schreiben. Oder du könntest als Volontärin bei einer Ausgrabung mitarbeiten.«
    Ich sah sie an. »Woher weißt du das?«
    »Ein Ehepaar aus unserer Kirchengemeinde hat mal davon gesprochen. Ihr Enkel hat nach der Schule irgendwo, ich glaube in Amerika, ein Praktikum gemacht. Er hat dabei geholfen, Dinosaurierknochen aus einer Asphaltgrube auszugraben.«
    Ich setzte mich einigermaßen aufrecht hin.
    Mum strich mir übers Haar. »Nicht dass ich scharf darauf bin, dass du das auch tust, Hannah. Schließlich habe ich dich nicht neun Monate lang ausgetragen und dich all die Jahre über aufgezogen, nur damit du jetzt auf die andere Seite der Welt ziehst.«
    Ich schmiegte mich an sie.
    »Es muss doch auch Ausgrabungsstätten geben, die nicht so weit weg sind«, fuhr Mum fort. »Haben in England nicht auch Dinosaurier gelebt?«
    »Mhm.« Ich nickte. »In Charmouth zum Beispiel.«
    »Charmouth«, murmelte Mum. »Charmouth wäre nicht schlecht.«

DREIUNDVIERZIG

    D as Hotel in Berlin, in dem die Teilnehmer der Kuratorenkonferenz untergebracht waren, lag in der Schönhauser Straße. Es befand sich in einem fünfstöckigen Altbau, wie er typisch für diesen Teil Berlins war. Das Taxi, das John und ich am Flughafen genommen hatten, hielt vor dem Eingang. Wir stiegen aus und betraten durch eine Drehtür ein kleines mit einem Teppichboden ausgelegtes Foyer. Der Portier nahm unser Gepäck und wartete, bis wir eingecheckt hatten, dann folgten wir ihm eine schmale Treppe hinauf in den zweiten Stock. Unsere Zimmer lagen an den entgegengesetzten Enden des Flurs und gingen beide zur Straße hinaus.
    »Oder hätten Sie lieber zwei benachbarte Zimmer?«, fragte uns der Portier.
    »Nein, danke«, beeilte ich mich zu sagen.
    Ich fand es ein bisschen merkwürdig, mit John zu reisen. Er war sehr höflich und zuvorkommend, hatte mir im Flugzeug zum Beispiel den Fensterplatz überlassen und meinen Koffer ins Gepäckfach gehievt. Er war der perfekte Reisebegleiter. Aber jedes Mal, wenn er Charlotte oder seine Töchter erwähnte oder auch nur von seinen Plänen für die Zukunft sprach, wog die Last dessen, was ich vor ihm verheimlichte, noch ein bisschen schwerer auf mir. Während der Reise war ich ziemlich schweigsam gewesen, und ich hatte mir vorgenommen, während unseres Aufenthalts in Berlin so wenig Zeit wie möglich allein mit John zu verbringen. Ich freute mich auf die Konferenz, wo sich unsere Gespräche eher um berufliche als um persönliche Dinge drehen würden.
    Für den ersten Abend war ein Willkommens-Dinner in Abendrobe vorgesehen, das im Haus der Kulturen der Welt in Berlin Mitte stattfinden sollte. John und ich verabredeten uns für halb sieben an der Hotelbar und gingen dann in unser jeweiliges Zimmer. Meines war genau, wie ich es mir vorgestellt hatte: klein, sauber, unpersönlich, aber komfortabel und angenehm. Es war ein prickelndes Gefühl, in einer fremden Stadt zu sein, mal etwas anderes zu tun, weit weg von der gewohnten Umgebung. Ich öffnete das

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