Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Drachenboot

Das Drachenboot

Titel: Das Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
Vom Netzwerk:
daß sie ein Wort mit ihm gewechselt hatten. Alf, der sonst auf der hintersten Ruderbank in Hjaltis Nähe saß, sprang von seinem Tauschgeschäft auf. Als einziger in der Mannschaft trug er einen Bart, der sorgfältig ausrasiert war; auch seine Haare waren sauber gestutzt. Während er sich nach Beifall umsah, rief er nach vorne: »Nicht jeder, der zur See geht, ist auch ein Liebling von Njörd.« Folke schoß durch den Kopf, daß eine solche Bemerkung gut der Anlaß für einen Totschlag sein konnte. Er fand es abstoßend, sich über jemanden lustig zu machen, der nicht Herr seines Magens und seiner Fäuste war.
    Aber Sven kümmerte sich nicht um den Spott. Er setzte sich wieder und legte den Kopf in die Hände. Alf wartete ein wenig, aber dann sah er wohl ein, daß von Sven nichts kommen konnte. Er bückte sich und hob seinen Beutel auf. Zu Bard sagte er stolz: »Der Bernstein ist mehr wert als dein Slawenschmuck. Geirmund selbst könnte nicht großzügiger sein. Du solltest dir das merken.« Noch nie hatte Folke gehört, daß sich einer selbst derart anpries, aber die Schiffsgenossen schienen daran gewöhnt zu sein. Bard und Bolli nickten nur und verzogen sich auf ihre Plätze.
    Sven hörte nach einer Weile auf zu speien. Noch immer war ihm schlecht, aber nicht so sehr, daß er die abschätzigen Urteile seiner Schiffskameraden nicht verstanden hätte. Er rutschte vorsichtig auf die Bank zurück und klammerte sich daran fest. In den wenigen Augenblicken, in denen der »Graue Wolf« zwischen der Talfahrt und der Bergfahrt die Waagerechte fand, ballte er die Fäuste. Folke, der von seiner Mutter die Gutmütigkeit und von seinem Vaterbruder die Liebe zur See übernommen hatte, versuchte ihn ein wenig zu ermuntern: »Es dauert nur ein paar Tage. Dann lernt dein Inneres mit den Wellen umzugehen.«
    Daraufhin spuckte Sven in hohem Bogen über die Bordwand, und Folke wußte nicht, ob das als Antwort gedacht war, oder weil er seinen Mund vom sauren Geschmack befreien wollte. Auf jeden Fall beschloß er, sich in die Magenbeschwerden dieses unangenehmen Bauern nicht mehr einzumischen. Abrupt drehte er sich um und begann mit Hrolf zu schwatzen, der nur hin und wieder über den Steven auf die See blickte. Nach und nach erfuhr er, daß Hjalti aus den unwegsamen Wäldern Norwegens stammte und daß seine Liebe zur See ebenso wie sein Name ein Erbe von seinem toten Mutterbruder war. Er war ein unterhaltsamer Mann, und Folke fand es nicht übel, daß er seiner Wache zugeteilt worden war.
    Zwei Stunden später hatte der Wind noch nicht nachgelassen, doch die Wolkendecke hatte sich gehoben, und Erri tauchte aus der wegziehenden schwarzen Wand auf. Die Nachmittagssonne beleuchtete plötzlich die fernen Steilküsten, die dunkel bewaldete von Erri und weiter östlich die helle, kalkige vom Langen Land.
    Fasziniert blickte Folke hinüber und versuchte, schon einen Schimmer der Nordspitze von Erri auszumachen. Plötzlich spürte er, daß irgendetwas nicht in Ordnung war. Er prüfte witternd die Luft. Da roch es nach gar nichts, jedenfalls nicht nach einem plötzlichen Wetterumschlag. Das Segel aus dickem Tuch hatte seinen Windbauch, wie es sollte. Taue und Wanten standen stramm. Folke rieb sich die Nase und ließ die Augen wandern. Die Männer redeten wie zuvor, erzählten von Schlachten, an denen sie teilgenommen hatten, manche auch von denen, die sie gar nicht geschlagen hatten. Einige stritten wieder leise, und die Männer aus Hrolfs Steuerbordwache, die mittlerweile von der Backbordwache abgelöst worden waren, schliefen. Hjalti stand immer noch am Steuer und war so aufmerksam wie beim Ablegen am frühen Morgen.
    Außer ihm selber schien niemand etwas bemerkt zu haben. Dicht über der Wasseroberfläche flog ein Keil Eiderenten. Sie hatten die gleiche Richtung wie der »Graue Wolf« und überholten das Schiff. Er sah ihnen nach. So klein sie waren, sie trotzten allen Winden. Wie machten sie das nur? Welche Kräfte waren nötig, um einen Körper in die Luft zu heben, und sei er auch noch so winzig? War das des Windgottes Verdienst oder das Können der Vögel? Während er noch darüber nachdachte, brummelte Hrolf: »Mir scheint, wir haben in Haithabu Moos angesetzt.«
    Folke, der inzwischen mit dem Rücken lässig an der Bordwand lehnte, so daß er in jedem Tal weit oben den Wellenkamm sah, nahm nicht einmal das Kinn von den Knien. »Wieso?« fragte er schläfrig. Die wiegenden Bewegungen und das monotone Knarren des Holzgefüges

Weitere Kostenlose Bücher